: Mehr Kliniken in Privathand
Der Gesundheitsmarkt ist im Umbruch. Kommunen verkaufen. Protest samt Bürgerentscheid in Plauen
BERLIN taz ■ Im sächsischen Plauen ist die Aufregung groß: Ein Aktionsbündnis von Ver.di, PDS und engagierten Bürgern hat sich gebildet, um die Privatisierung des dortigen Vogtland-Klinikums zu verhindern. Anfang August hatte der parteilose Oberbürgermeister Ralf Oberdorfer die Privatisierung der insgesamt 13 Kliniken in Aussicht gestellt. „Wir befürchten, dass durch die Privatisierung die Beschäftigten aus den Tarifverträgen rausgedrängt werden und viele Arbeitsplätze verloren gehen“, erklärt Rosemarie Thessel von der Ver.di Plauen. Für die Bevölkerung vor Ort sei nicht gesichert, dass die Palette der Gesundheitsversorgung aufrechterhalten wird: „Grob ausgedrückt: Die Bürger haben Angst, dass man mit einem gebrochenen Bein nicht mehr in Plauen behandelt wird, sondern irgendwo außerhalb.“
Bisher hat die Bürgerinitiative Erfolg. Seit Anfang August läuft die Aktion. Die nötige Zahl der Unterschriften für einen Bürgerentscheid kam schnell zusammen und ist auch schon vom Einwohnermeldeamt überprüft. Am 24. Oktober entscheidet nun der Stadtrat über die Annahme. Die Initiatoren sind optimistisch: „Wir sind überrascht von der Resonanz. Viele Bürger stehen hinter uns. Ich bin sicher, dass wir Erfolg haben werden“, so Thessel. Eine Entscheidung der Bürger gegen die Privatisierung wäre zwei Jahre gültig.
Der Gesundheitsmarkt befindet sich nicht nur in Plauen im Umbruch. Die bisher öffentliche Gesundheitsversorgung verlagert sich immer mehr in Privathand. Eine Folge: Immer mehr Krankenhäuser werden privatisiert. Kliniklandschaften ganzer Großstädte und Gemeinden stehen vor dem Verkauf an Privatunternehmen – und immer wieder ist der Aufschrei vor Ort groß. Hamburg, Berlin und Tübingen sind nur die größten Beispiele. Erst Ende April dieses Jahres wurde in Nordfriesland, nach langer öffentlichen Diskussion, die Privatisierung von vier kommunalen Krankenhäusern durch einen Bürgerentscheid abgelehnt.
Etwa 55 Prozent der 2.250 deutschen Klinken sind noch in öffentlicher Hand, so die neuesten Zahlen von HPS Research, einer Agentur, die halbjährlich die Marktlage der privaten Klinkbetreiber analysiert. Weitere 35 Prozent der Kliniken, so die Angaben, sind kirchliche Einrichtungen. Der Anteil der Privatklinken beträgt demnach 10 Prozent –Tendenz steigend. Schon in zwanzig Jahren, so die Prognosen, wird der Anteil der Privatkliniken den der öffentlichen Hand überholen.
Gründe für den Siegeszug der Privatklinken gibt es viele: An erster Stelle steht die Finanznot der Städten und Kommunen. Private Unternehmer haben erkannt: Im deutschen Gesundheitssystem kann man richtig viel Geld verdienen. Immer mehr Menschen in Deutschland werden immer älter. Im Jahr 2030 wird wahrscheinlich jeder dritte Mensch in Deutschland über 60 Jahre alt sein. Dies hat auf absehbare Zeit eine weitere Kostensteigerung im Gesundheitssystem und den überproportionalen Anstieg an Krankenhausleistungen zur Folge. Bereits heute werden von den privaten und gesetzlichen Krankenkassen jährlich knapp 300 Milliarden Euro ausgegeben. Das sind fast 15 Prozent des gesamten Bruttoinlandsprodukts. Ein Drittel davon entfällt allein auf den Betrieb von Klinken.
Beschleunigt wird der Prozess der Privatisierung auch durch die rot-grüne Gesundheitsreform. In Zukunft sollen die Krankenhäuser nicht mehr nach der Liegedauer abrechnen, sondern nach Fallpauschalen, den so genannten DRGs (diagnosis related groups). „Bei dieser Regelung verlieren die öffentlichen Kliniken“, so Hartmut Schmidt von HPS Research.
Unbestritten sind die Folgen der Privatisierung für die ortsansässige Wirtschaft: Für den einzelnen Versorger nimmt mit der Übernahme der Preisdruck zu. „In Einzelfällen bekommt das Privatklinikum jetzt bis zu 30 Prozent Rabatt beim gleichen Abnehmer, weil sich ein Konkurrenzdruck entwickelt!“, so Hartmut Schmidt. Und natürlich bedeutet die Übernahme zumindest auf längere Sicht den Abbau von Arbeitsplätzen. „In der Regel sind 10 bis 20 Prozent der Stellen für die Privatbetreiber überflüssig“, so Schmidt. Vor allem im Bereich Verwaltung werden nach der Übernahme Arbeitsplätze eingespart.
Trotz aller Skepsis der Bürger floriert das Geschäft mit der Gesundheit. War die Rhön-Klinkum AG lange Zeit das einzige Unternehmen börsennotiert, tummeln sich mittlerweile noch sechs weitere Klinikbetreiber an der Börse. Auch nichtnotierte Unternehmen wie Sana und Helios erzielen jeweils Umsätze in dreistelliger Millionenhöhe. Und der Konkurrenzdruck nimmt unter den Betreibern zu. Bei Ausschreibungen treffen in der Regel die großen Klinikketten aufeinander.
Allen Warnrufen vom „Ausverkauf des Gesundheitswesens“ zum Trotz, die Kommunen profitieren von der Entwicklung: Neben höheren Preisen könne sie den Privatbetreibern in vielen Fällen Tarifvereinbarungen und Beschäftigungsgarantien abringen.
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