: Amerika über den Sport erklärt
Der amerikanische Sonderweg ist derzeit in anderen Feldern als dem Sport erkennbar. US-Exzeptionalismus lässt sich dennoch mit dem Buch „Im Abseits: Fußball in der amerikanischen Sportkultur“ diagnostizieren
„Seit wann ist Fußball denn Kultur?“ Eine Frage, bei der klar wird, dass man wieder angekommen ist. Angekommen in der täglichen Redaktionskonferenz. Nicht dass nun ein Zusammenhang zwischer dieser Konferenz und den USA konstruiert werden soll. Aber es darf ja mal phantasiert werden.
Obgleich schon Zusammenhänge zu finden wären. Denn ähnlich wie im jüngst erschienenen Buch Im Abseits – Fußball in der amerikanischen Sportkultur der Sportpolitologen Andrei Markovits und Steven L. Hellerman darf gefragt werden, welche Gründe für die bis heute anhaltende Marginalisierung der Fußballkultur im amerikanischen Sportraum vorliegen. Ängste, es drehe sich um Thesen, die in jedem anspruchsvolleren Tresen-Talk bereits ausgetauscht wurden, widerlegen die beiden Autoren mit spannend beschriebenen kulturhistorischen Momenten, soziologischem Gespür und politischen Hintergründen. Cultural Studies at its best. Und die sind im englischsprachigen Raum weiter verbreitet als hierzulande – insbesondere, was das bislang kaum bestellte Feld sportkultureller Untersuchungen angeht. Wie eifrige Fans saugen Markovits und Hellerman Anekdoten in sich auf, die ihre vergleichende Analyse der industriellen Gesellschaftssysteme Europas und Nordamerikas zu einem realitätsnahen Entwurf macht. Eine menschelnde Enzyklopädie, die Tresen mit Plenarsälen versöhnt. Folgt man den Gedanken der Autoren, erhält man eine Ahnung von den tiefgreifenden, nicht immer so profanen Differenzen zwischen Europa und Amerika. Bereits im ersten Kapitel wird beschrieben „worin Amerika Europa gleicht – und wo es anders ist“. Immer wieder wird zwischen dem amerikanische Sonderweg und der europäischen Geschichte vermittelt. „In aller Kürze: Das bürgerliche Amerika schuf eine neue, liberale Identität, die auf ihre europäischen Ursprünge stolz war, sich gleichzeitig aber auch pries, durch republikanische Tugenden in einer neuen Welt die überkommenen aristokratischen Verhältnisse überwunden und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert zu haben.“
Demnach mögen die Vereinigten Staaten ihre Gründe haben, wie Markovits und Hellerman nie müde werden zu vermitteln – die Redaktionskonferenz kaum.
OKE GÖTTLICH
Andrei Markovits/Steven Hellerman: Im Abseits: Fußball in der amerikanischen Sportkultur, Hamburger Edition 2002, 416 S., 35 Euro. – Lesung heute, 19.30 Uhr, Institut für Sozialforschung
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen