Politisch korrekt

Von wegen radikale Sicherheitsvorkehrungen: Marcel Odenbachs Tasche an der S-Bahn-Brücke in Düsseldorf bleibt unbeachtet. Anders als seine erste Retrospektive im Frankfurter Kunstverein mit Videokunst zu deutschen Zuständen

„Nichts ist mehr so, wie es war.“ Ein viel zitierter Satz seit dem 11. September. Damals lösten die Anschläge auf das World Trade Center radikale Sicherheitsvorkehrungen aus. Bestimmt erinnert sich jeder daran, dass selbst eine unachtsam abgestellte Tasche sofort als verdächtig galt. Wie schnell tatsächlich das routinierte Alltagsgeschehen zurückkehrt, veranschaulicht Marcel Odenbachs Videoinstallation „Düsseldorf, 27. Juli 2000“. Zwei Jahre nach einem Anschlag auf jüdische Schulkinder befestigte Odenbach an der betreffenden Stelle eine Umhängetasche. Keiner der Passanten nahm von seiner Aktion Notiz. Anders dagegen der Ausstellungsbesucher: In seiner Rolle als Voyeur kann er sich der Situation nicht entziehen, wodurch er die Tasche in Odenbachs Video als „tickende Zeitbombe“ wahrnimmt. Dazu folgen immer wieder kurze Einblendungen – Bilder vom 11. September.

Sensibilisiert durch die aktuellen Ereignisse greifen Künstler verstärkt politische Themen auf, das hat die Kasseler documenta deutlich gezeigt. Der 1953 in Köln geborene Odenbach gehört zu jenen Videokünstlern, die ungeachtet irgendwelcher Moden ihr kritisches Potenzial bis heute bewahrt haben. Seine Videos setzen den Fokus auf Minoritäten und die deutsche Geschichte. Pünktlich zum Gedenkfeiertag der Deutschen Einheit eröffnete der Frankfurter Kunstverein nun eine Odenbach-Retrospektive.

Neben aktuellen Arbeiten, darunter auch die eingangs beschriebene Installation, werden erstmals wieder drei Videos von 1978/79 vorgestellt. Nach der Trilogie „New Heimat“, „Neue Heimat“ und „Non Places“ knüpft der Kunstverein mit dieser Einzelausstellung an seine gesellschaftskritische Themenreihe an. Diesmal fällt der Blick aber nicht nur auf die anderen und ihre fremden Kulturen. Über zwei Etagen hinweg wird auch ein Stück deutsche Geschichte offensichtlich.

Von Deutschlands kurzem Gastspiel als Kolonialherr in Togo handelt Odenbachs Installation „The idea of africa“ (1998). Diese Arbeit besteht aus zwei sich überschneidenden Videobildern: Archivaufnahmen von 1913 dokumentieren auf der linken Seite den Besuch eines deutschen Ministerialrats in Togo: Einheimische Frauen begrüßen die Kolonialherren mit Blumen, während Offiziere in weißen Uniformen ihre westliche Zivilisation unterstreichen. Deutsche Soldaten demonstrieren hier Herrschaftsanspruch, der im Film als selbstverständliches Faktum inszeniert wird. Mit den Aufnahmen auf der rechte Seite versuchte Odenbach dem afrikanischen Alltag etwas näher zu kommen, in dem er vier Jugendliche bei einem Workshop ihr eigenes Dorf filmen ließ. An dem Material hat Odenbach später nichts mehr verändert.

In fast allen seinen Arbeiten baut er vorgefundenes Bildmaterial aus Film und Fernsehen ein, um die Bedingungen des Mediums Video auszureizen. Dabei erweist sich Odenbach als perfekter Choreograf, der viel mehr inszeniert als dokumentiert. Dies trifft vor allem auf die neueren Videoarbeiten zu, jedes Bild ist auf die Musik abgestimmt, wodurch Spannung erzeugt wird. Noch zu DDR-Zeiten entstand etwa die dreiteilige Videoinstallation „Wenn die Wand an den Tisch rückt“, die zu Klängen von Bach die damalige Mahnwache Unter den Linden patrouillieren lässt. Über das bewegungslose Gesicht eines Soldaten legte Odenbach Bilder der DDR-Friedensbewegung. Am Boden stehen im Halbkreis angeordnet Monitore: Das zum Mahnmal gehörende ewige Licht überlagert sich mit Bildern aus den Schützengräben des Zweiten Weltkrieges.

Hier kommt vieles zusammen, was sich der leichten Konsumierbarkeit von Kunst entzieht. Es mag ein Grund sein, warum dies Odenbachs erste Retrospektive in Deutschland ist. Sicherlich liegt es aber auch an dem zwiespältigen Verhältnis der Deutschen gegenüber ihrer eigenen Geschichte.

HORTENSE PISANO

Bis 22. Dezember, „Marcel Odenbach. Auch wenn der Fahrer ein anderer ist, der Lastwagen bleibt der gleiche“, Frankfurter Kunstverein