piwik no script img

Ich weiß nicht...

...was soll es bedeuten? „Christiane Müller, Gabriel-Max-Str. 2, 1. OG links“ - wo ist das? Nein – was ist das?

Zehn Menschen stehen hilflos in einer fremden Wohnung. Auf der Kommode liegt eine angefressene Tafel Schokolade. Alles ist still. Die Eindringlinge wirken unsicher, stecken die Fäuste tief in die Taschen und schielen an die Decke. Schließlich wagt eine, das Wohnzimmer zu betreten. „Da sitzt jemand“, berichtet sie, halb belustigt. Ja, da sitzt jemand und starrt ins Leere, in einer langen weißen Feinripp-Unterhose. Langsam rutscht er vom Sofa, wälzt sich ein bisschen und geht dann aus dem Raum. Als seien SIE gar nicht anwesend. Wieder stehen die Zehn da, perplex und ahnungslos, was geschieht jetzt?

Das, was sich da in der Stuckdecken-Wohnung in der Schwachhauser Heerstraße abspielt, ist wohl Kunst – wird behauptet. „Two Fish“ heißt die Berliner Gruppe, die derzeit mit ihrer Performance „Christiane Müller, Gabriel-Max- Str. 2, 1. OG links“ zeigen will, was sie tänzerisch drauf hat. Für die Zuschauer eine kuriose Erfahrung, in die Rolle des Voyeurs gedrängt zu werden.

Nach und nach stoßen vier andere Tänzer zu der Unterhose, wandeln von Raum zu Raum, verrenken ihre Körper, starren aus den Fenstern, kratzen an Tapeten. Ab und zu kurze Monologe. „Ich habe festgestellt, dass es wichtig ist, schön zu sein und am richtigen Platz zu stehen. Zum Schönsein hatte ich die besten Voraussetzungen.“ „Soll ich mir aufreizende Unterwäsche kaufen oder billige? Soll ich mich operieren lassen und dann jeden ficken?“

Die Inhalte, Intentionen, Interpretationen des Wohnzimmer-Tanztheaters sind – schwierig. „Two fish“ hat eine erkennbare Struktur oder Dramaturgie oder überhaupt etwas, woran man sich als Zuschauer klammern kann einfach unterschlagen. Eine Art Big Brother in Tanz spielt sich hier ab, wobei die Container-Show irgendwie mehr Zugang bietet. „Wir geben Einblicke in jede Person“, versucht Choreographin Angela Schuboth zu erklären. Mehr kann sie das Stück offenbar selbst nicht deuten. „Der Zuschauer kann entscheiden, mit wem er mitgeht.“ Hm.

Für selbigen ist es anfangs spannend, von Raum zu Raum zu spazieren und ein bisschen herumzuschnüffeln. Wäscht einer seine Socken im Bad? Spielen sie Sofakissenrutschen im Wohnzimmer? Warum knallen auf einmal alle Türen zu – Licht aus – und man steht im Dunkeln? Es hat schon was, fremde Menschen zu belauern und hemmungslos zu starren. Doch schon bald ist der Reiz des Neuen verpufft und leider verpassen die Tänzer es, ihr Publikum an dieser Stelle abzuholen. Die Zehn wandern planlos zwischen Küche und Wohnzimmer. Bald weckt die Schachtel Toffifee auf dem Küchenregal mehr Emotionen als „two fish“.

Zum dritten Mal inszenieren sie das Stück. Eine geeignete Wohnung zu finden, war auch diesmal kein Kinderspiel. Im letzten Moment hat aber doch noch eine Bremer Künstlerin ihr Atelier zur Verfügung gestellt. Dienstag dann die Premiere. Zehn Menschen stehen hilflos in einer fremden Wohnung. Auf der Kommode liegt eine angefressene Tafel Schokolade. Sehr schöne Idee, aber wir Zuschauer nehmen es übel, verwirrt im Regen stehengelassen zu werden. Tanzt nicht nur für euch, tanzt für uns!

Susanne Polig

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen