: Vexierspiel der Identitäten
Alain Robbe-Grillet lässt in „Die Wiederholung“ keinen Realitätssplitter an seinem Ort. Lesung heute im Literaturhaus
Als „Robbe-Grillet zum Quadrat“ wurde der neueste Roman des 80-jährigen Franzosen bei Erscheinen gelobt. Eigentlich wollte er nach Corinthes letzte Tage (1994) kein Buch mehr verfassen. Doch nachdem im Winter 1999 ein Orkan seinen Park verwüstet hatte, vergaß er alle Vorsätze: Trümmer waren für Alain Robbe-Grillet schon immer Anlass zum Schreiben. Und diese kleine Episode hat er auch gleich in seinem jüngst erschienenen Roman Die Wiederholung montiert.
In Trümmer legt er seit jeher auch seine Romane, die er unter die Maxime „Fragmentierung,Lückenhaftigkeit und Widersprüchlichkeit“ stellt. Für Robbe-Grillet gilt: In der Welt gibt es keine Wahrheit, und alle Weltwahrnehmung ist Konstruktion. Und das lässt er wie kein anderer seine Leser spüren. Die Wiederholung ist ein kühles Vexierspiel mit Doppelidentitäten, wechselnden Erzählperspektiven, Zeitverschiebungen und mysteriös auftauchenden Personen und Gegenständen. All dies sind jedoch keine Handlungs-, sondern literarische Stilelemente der Erzählung, die an David Lynchs Twin Peaks, Christopher Nolans Memento oder eine Erwachsenen-Version von Alice im Wunderland erinnern. Robbe-Grillets Figuren tragen dieses Vexierspiel mit Gelassenheit.
Zentrales Motiv der Geheimagentengeschichte in Die Wiederholung ist die Spiegelung: Doppelgänger des Protagonisten Henri Robin und Zwillingsbrüder tauchen auf, in spiegelsymmetrischen Räumen hängen sich wiederholende Gemälde, und sogar ein M wird zum W. Und von der Mitte des Buches an hat man das Gefühl, als würde der Roman spiegelsymmetrisch zur ersten Hälfte weitererzählt.
Für Robbe-Grillet, der nach seinem Debut Ein Tag zuviel 1953 als „Papst des Nouveau Roman“ ge(t)adelt wurde, ist die einzig wahre Literatur die, die „für das Publikum ständig Anlass zur Enttäuschung“ gibt.
Wen die – auf hohem Niveau zelebrierten – erzähltechnischen Eskapaden des Autors wenig faszinieren, für den dümpelt Die Wiederholung anfangs orientierungslos dahin, bis sie am Ende – durch ein Labyrinth düsterer, inzestuöser Spionage-Motive und versunkener Erinnerungen hindurchgangen – in dessen Mitte wieder ankommen. Oder am Eingang oder am Ausgang desselben. So genau lässt sich das nun auch wieder nicht sagen.
CHRISTIAN T. SCHÖN
Alain Robbe-Grillet: Die Wiederholung, Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2002, 241 Seiten, 24,90 Euro Lesung: heute, 20 Uhr, Literaturhaus, Schwanenwik 38
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen