: Die hohe Kunst des Strippenziehens
Wer Puppenspiel an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch studieren möchte, hat es nicht leicht: Jedes Jahr werden nur rund zehn Bewerber angenommen. Den Auserwählten wird dafür eine umfassende Ausbildung geboten
Die Probebühne des Carrousel-Theaters ist leer, die Studenten sind in die Pause gestürmt. Eine Wasserflasche und ein Pullover liegen zurück gelassen auf einem Stuhl. Die Mädchen sind in die Sonne geeilt und genießen die letzte Herbstsomme.
Obwohl das Semester erst in ein paar Tagen beginnt, ist Anna hier. Sie will Puppenspielerin werden und nimmt dafür auch Zusatzstunden in Kauf. Weil der Stundenplan im letzten Jahr so dicht war und auch im kommenden wieder voll sein wird, weichen die Dozenten auf die studienfreie Zeit aus, manchmal auch auf Wochenenden. „Diese Stunden machen aber oft am meisten Spaß“, sagt Anna. Sie ist 21 und vor einem Jahr aus Köln nach Berlin an die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch gekommen.
Nicht nur Kasperletheater
In drei Jahren will Anna Diplom-Puppenspielerin sein. Der Abschluss sei aber nicht der Grund für ein Studium, sondern die Ausbildung an sich: „Beim Puppenspiel kann ich alles machen, von der Idee bis zur Aufführung. Das ist toll“, sagt Anna ihrer Kommilitonin Nora. „Puppenspiel ist nicht nur das Tri-tra-trallala-Kasperle-Ding. Puppentheater ist auch etwas für Erwachsene. Wir machen ernst zu nehmendes Theater.“
Anna muss kurz überlegen und versucht, die Faszination in Worte zu fassen: „Anders als beim Schauspiel kann ich mir komplett eine eigene Welt bauen. Die Schule bietet die Möglichkeiten, alles zu lernen, was nützlich sein könnte. Außerdem wäre eine Puppenspielerausbildung privat nicht finanzierbar.“
Tanz-, Gesang-, Sprechunterricht, Fechten, Handwerk, Akrobatik, Pantomime, Theatergeschichte, Schauspielstunden und Fremdsprachenunterricht sind an der staatlichen Ernst Busch inklusive. Das heißt aber auch, von morgens um acht bis abends um acht in die Schule zu gehen. „Das soll im dritten und vierten Jahr besser werden“, hofft Anna. Jedes Jahr werden nur rund zehn junge Menschen an der Hochschule angenommen, alle müssen eine strenge Prüfung bestehen: Vorspiel mit und ohne Puppe, singen und rezitieren. Für das Puppenspielstudium bewerben sich jährlich bis zu hundert Interessenten, dabei immer weitaus mehr Mädchen als Jungen, die Jahrgänge sind dementsprechend weiblich dominiert: In Annas Klasse ist unter neun Schülern gerade mal ein männlicher Kommilitone.
Broterwerb als Selbstständige
Kristina und Nicole sind seit drei Jahren diplomierte Puppenspielerinnen, Heidrun schon seit vier Jahren. Doch sie treffen sich noch ab und zu an der Ernst-Busch-Hochschule, um neue Ideen zu besprechen. Auch sie sitzen in der Herbstsonne und machen Pause. Sie erzählen vom Leben nach der Uni.
Heidrun lebt von Zeitverträgen, die meist durch Kontakte zustande kommen. „Ich werde für ein Stück engagiert. Solange das läuft, komme ich ganz gut mit dem Geld hin. Es gibt aber auch Zeiten, wie im Moment, da bin ich einfach pleite.“
In Berlin haben sich die drei getroffen, um eine eigene Aufführung zu entwerfen. Denn das sei etwas, was dem Puppenspieler immer als Broterwerb offen bleibt. Wichtig seien gute Kontakte zu Regisseuren, Choreografen oder Dramaturgen. Und die werden an der Ernst Busch von Anfang an gepflegt – ab dem ersten Studienjahr entstehen Kooperationen zwischen den Klassen.
Nicole verdient neben den mäßig bezahlten Engagements „unverhältnismäßig viel Geld“ als normale Schauspielerin. Als Puppenspieler wird niemand reich und nur wenige berühmt. Die Leidenschaft für das Puppentheater und die Schauspielerei ist das Entscheidende. Und, Nora sagt lachend: „Es gibt mehr berühmte Puppen als Puppenspieler.“ SUSANNE KLINGNER
Hochschule für Schaupielkunst Ernst Busch, Abteilung Puppenspiel. An der Parkaue 25, Tel. (0 30) 5 57 79 03 30. Für das Wintersemester 2003 kann man sich noch bis 30. November 2002 bewerben.
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