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Kritisches Denken fördern

betr.: Berichte und Kommentare zum PDS-Parteitag, taz vom 14. 10. 02

Als Schattenparteivorsitzender hatte Dietmar Bartsch in der Partei nicht nur gegen Gabi Zimmer gemobbt, das Mobbing in die Basis hinein funktionierte noch viel besser. Da war eine Regentschaft am Ruder, der man fast stalinistische Leitungsmethoden vorwerfen kann. Diese Art von Hinterzimmerdiktatur in der Partei musste in Gera gebrochen werden. Und dieses Problem wurde von ganz verschiedenen Kräften in der Partei gesehen. So war die Kandidatur von Dietmar Bartsch für den Chefposten eine offene Kriegserklärung gegen eine Partei mit emanzipatorischem und kritischem Profil. Wenn man das nicht begreift, dann kommt man zu den Fehlinterpretationen, die derzeit in Umlauf sind.

Als Ökologische Plattform bei der PDS hatten wir zum Beispiel ein großes Interesse daran, dass die Personen im Vorstand, die unsere Projekte versuchten zu untergraben, einfach mal abgewählt werden. Dass nun ein Teil der übrigen Prominenz beleidigte Leberwurst spielt, ist sicher ein Problem, aber orthodoxe Parteithesen sind deswegen noch lange nicht handelbarer Kurs. Uns geht es um eine sozial-ökologische Erneuerung der PDS. Dies funktioniert nur mit Reformgeist, aber nicht mit kleinkariertem Reformismus. […] Das Verdienst von Gabi Zimmer ist es, mehr kritisches Denken über unsere Politikstile in der Partei zu befördern, und das ist nach der Niederlage, die unsere Pseudoreformer maßgeblich zu veranworten haben, bitter nötig.

In Gera wurde begonnen, die bleierne Atmosphäre in der PDS aufzulösen. Ob es jedoch gelingt, die neu gewonnene Freiheit auch für zukunftsfähige Politik zu nutzen, das wird sich erst zeigen müssen. […] Ein neuer politischer Reformaufbruch ist unausweichlich, wenn die PDS 2006 wieder im Bundestag vertreten sein soll und damit sie als intellektuell progressive Herausforderung in diesem Land Sinn haben könnte.

MARKO FERST, ehrenamtlich im Koordinierungsrat

der Ökologischen Plattform der PDS, Gosen

Die von König als kleineres Übel akzeptierten (so genannten) Reformer haben sich in Gera mit ihren Wunschkandidaten Bartsch und Claus nicht durchsetzen können. Die in den letzten Jahren immer weiter voranschreitende Anpassung der PDS an die anderen Parteien und die schleichende Entfernung von sozialen Bewegungen (auch der Antiglobalisierungsbewegung) hat zum zweiten Mal seit Münster eine Mehrheit der Delegierten verworfen. Es wurde deutlich: Man möchte die Macht (Regierungsbeteiligung) nicht um den Preis sozialer Grausamkeiten und einer Aufgabe eigener Inhalte. Die bisherige Parteiführung wurde zu Recht als opportunistisch angesehen. Gabi Zimmer will diesen Kurs nun korrigieren, spät, aber immerhin. Man muss kein Orthodoxer sein, um das richtig zu finden – und es ebenso wichtig zu finden, gewisse linke Traditionen hochzuhalten.

Jens König schreibt in seinem Artikel auch, Zimmer könne auf dem Parteitag Verhaftungen veranlassen. Das ist keine Ironie mehr, sondern mehr als Blödsinn. […] Man sollte es endlich als europäische Normalität betrachten, dass es eine bedeutende und eigenständige (sozialistische) Partei links von Sozialdemokraten und Grünen gibt. […]

JAN SEBASTIAN LUDWIG, Freiburg/Breisgau

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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