piwik no script img

Kimme, Korn, Roman

Julia Leigh weiß, dass wir wilde Tiere sind, „die in Städten leben“. Und Henning Ahrens schreibt über Wehrsportgruppen im Jagdfieber. Die Pankower Literaturwerkstatt hat beide Autoren eingeladen, um im Pirschgang über Textproduktion zu sprechen

von ANSGAR WARNER

Halali! Die Schonzeit ist vorbei. Jagd ist angesagt, der Fuchs ist los. Nicht nur zwischen Kabul, Bagdad und Washington. Irgendwo steht und fällt immer irgend jemand im Fadenkreuz. Auch vom Hochsitz der Belletristik herab beginnt man sich auf das Thema einzuschießen. Popliteraten wie etwa Marc Fischer schicken in ihren Texten burnout-geplagte Yuppies des neuen Milleniums zum Haifischangeln in die Karibik. Sage mir, was du jagst, und ich sage dir, wer du bist: Der Jäger als Typus passt perfekt in die schöne neue Welt der Ich-AGs und Ego-Shooter. Man liegt auf der Lauer. Pirscht. Wittert.

Doch oft ist gar nichts im Busch. Die Identitätssuche der Fun-Generation ist meist nur eine erfolglose Schnäppchenjagd. Aber eben nicht immer: Die Pankower Literaturwerkstatt bat Ende letzter Woche mit Julia Leigh und Henning Ahrens zwei Nachwuchstalente aufs Podium, die man nicht erst zum Jagen tragen muss. Die von der Kritik einhellig gelobten Erstveröffentlichungen der beiden Jungliteraten zeigen das Thema bereits deutlich im Titel an. Mit ihrem Roman „Der Jäger“ erzählt die in Australien aufgewachsene Julia Leigh die Geschichte eines leidenschaftlichen Waidmannes, der in den Weiten Tasmaniens dem legendären letzten Exemplar eines eigentlich bereits ausgestorbenen Tigers auf der Spur ist. Eine Biotechnologiefirma, die an den Genen der Raubkatze interessiert ist, hat ein hohes Kopfgeld ausgesetzt. Der Katzenkiller gibt sich zur Tarnung als Umweltschützer aus und schleicht sich tagelang durch das Unterholz. Doch ob der tasmanische Tiger nur eine Chimäre ist, bleibt bis zum Schluss in der Schwebe.

Auch Henning Ahrens führt die Leser mit „Lauf Jäger lauf“ hinaus an die frische Luft. Zorrow, der Held des Romans, sieht aus dem Fenster eines ICE einen Fuchs und zieht die Notbremse. Kaum ausgestiegen, gerät er in die merkwürdige Parallelwelt von Morrzow. Durch mystische Nebelwallungen von der Außenwelt getrennt, lebt auf einem verfallenen Gutshof eine alternative Wehrsportgruppe, die mit Genickschussübungen für das letzte Gefecht trainiert. Doch vergeblich – schließlich löst sich auch das irgendwo zwischen Ernst Jünger und den Brüdern Grimm oszillierende Reich der Träume in Rauch auf.

Als nach der Autorenlesung der Literaturkritiker Johannes Kaiser versuchte, das Verhältnis zwischen Dichtung und Wahrheit zu zerlegen, stellte sich schnell heraus: Weder Ahrens noch Leigh sind im wirklichen Leben schon mal mit einer Flinte durch den Wald gelaufen. Von Tierstimmen und Blattformen bis zu Kalibergrößen haben sie die Ausstattung ihrer Romane immerhin sehr genau recherchiert. In richtigen Jägern sieht Ahrens dagegen „eiskalte Zombies“, die keine echten Gefühle kennen. Den Helden seines Romans gehe es ja auch ähnlich. Tatsächlich wandern die ökofaschistischen Märchenfiguren in „Lauf Jäger lauf“ als chronisch beziehungsunfähige Wracks durch die mysteriöses Romanwelt. Ob die Hatz auf Großwild oder auch den Nachbarn von nebenan nun am Ende erfolgreich ist oder nicht – Jagen gehört für Julia Leigh ganz einfach zur archaischen Grundausstattung des Homo sapiens: „Wir sind Tiere, die in Städten leben.“

Darüber hinaus konnte Moderator Kaiser seinen Gästen nicht so recht abjagen, was das Jägerhandwerk im metaphorischen Sinne für ihre Texte bedeutet. Leigh sprach sich vehement dagegen aus, mit „Über-Metaphern“ zu hantieren, und auch Ahrens wollte sich nicht auf diese abstrakte Fährte locken lassen. Auch im wahren Leben geht eben so mancher Schuss daneben. Horrido und Waidmannsheil!

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen