: Familientanz
Die polnische Band Czerwone Gitary rockt seit 37 Jahren und brachte im Schlachthof gereifte Polinnen zum Weinen
Wenig bekannt ist im Westen die Geschichte der Rockmusik in den Ländern des Realsozialismus. Wahrscheinlich ist es Jahrzehnten antikommunistischer Propaganda im Frontstaat BRD geschuldet, dass die meisten das Vorhandensein einer solchen Szene für unmöglich halten. Mittlerweile aber sind die Akten einsehbar. Wir erfahren Überraschendes: Czerwone Gitary („rote Gitarren“) aus Polen spielten zum Beispiel im Laufe ihrer nun schon 37-jährigen Geschichte bereits in den Siebzigern eine Tournee in den USA. Beim alljährlichen Festival in Sopot spielten sie vor 40.000 Zuschauern als Headliner.
Am Sonntag waren sie in Bremen zu Gast. Die große Zeit der Band ist vorbei. 250 überwiegend polnisch-stämmige Gäste bereiteten Czerwone Gitary dennoch einen begeisterten Empfang. Rechtzeitig zum Beginn des Konzerts in der Kesselhalle des Schlachthofs zu sein, war dabei gar nicht so einfach: Auf der Veranstaltungsübersicht im Foyer des Schlachthofs waren die Czerwone Gitary für Samstag, 19. Oktober, 20 Uhr angekündigt. In der Presse stand zwar der richtige Termin, wer aber zum angekündigte Beginn um 20 Uhr eintraf, bekam gerade noch die letzten Takte mit, da das Konzert bereits um 18 Uhr begann. Karten im Vorverkauf gab es im Übrigen lediglich bei einem polnischen Reisebüro zu kaufen.
Dass die meisten Gäste dennoch pünktlich waren, lässt auf einen souveränen Umgang mit dieser Art der organisatorischen Akkuratesse schließen. Ein Relikt konspiratorischer Vergangenheit darf in diesem Zusammenhang übrigens ausgeschlossen werden, waren Czerwone Gitary doch eine der Bands, die von Anfang an mit Segen der Obrigkeit spielten und somit derartiges auch im Realsozialismus nicht nötig hatten.
Es war vielmehr ein Abend für die ganze Familie. Die Musik der roten Gitarren, bei denen immerhin noch drei Mitglieder aus der Urbesetzung mitspielen, schlug nie über die Stränge, war allzeit gediegene Beat-Musik mit Schunkel-Flair, auch wenn einer der Neuzugänge mit seinen langen blondierten Haaren und Tätowierung ab und an auf seinen Verzerrer treten durfte.
Dieser kleine Stilbruch hielt die versammelte polnische Gemeinde nicht davon ab, kräftig in Wallung zu geraten: Ganze Familien tanzten samt Großmutter ausgelassen vor der Bühne und sangen die Texte der alten Hits mit. Das patriotische Sentiment schlug Purzelbäume, als Czerwone Gitary die Schönheit der polnischen Mädchen besangen. Czerwone Gitary waren Polens Antwort auf die Beatles – aber statt kreischender Teenager gab es echte Tränen älterer Damen, die wahrscheinlich einst in Krzysztof, den viel zu früh verstorbenen Sänger der Band, verliebt waren. In diesem Sinne auch für Außenstehende: ein berührender Abend. Andreas Schnell
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen