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Negation der Depression

Bloß nicht zu viel Energie verschwenden: Der einstige No-Waver Arto Lindsay traktierte im Tränenpalast ganz gemächlich seine Gitarre

von ANDREAS BECKER

Der sieht aber intellektuell aus, sagt jemand. Und ein wenig älter. Die nicht mehr ganz so dicke Brille sitzt unter etwas lichteren Haaren. Die Gitarre ist heute blau, fast babyblau. Er spielt sonst eine rote, sagt der Fotograf, der Arto Lindsay schon Anfang der Achtziger in Berlin gesehen hat.

Ende der Siebziger wurde er zu einem der Protagonisten der No-Wave-Bewegung. Mit seiner Band DNA erschien er 1978 auf einem Sampler mit dem Namen „No New York“. Es war die Zeit der großen Negation. Jeder steckte seine Claims neu fest, die im Zuge der Punk-Unruhen unsicher geworden waren. Rockkritiker wie Lester Bangs erklärten DNA zu „horrible noise“. Das freute die Macher so sehr, dass Noise denn auch bald zu einer neuen Musiksparte erkoren wurde. Man war nicht Jazz, man war nicht Punk, man war fein raus. Lindsay arbeitete mit Brian Eno, spielte auf den ersten Platten der Lounge Lizards und der legendären Golden Palominos. Lindsays Job war in erster Linie, sich eine Gitarre umzuschnallen und das Instrument auf alle erdenklichen Formen zu traktieren.

Nur richtig greifen durfte er nicht (da hatte Punk neue Standards gesetzt), konnte er ja auch nicht. Kann oder will er bis heute nicht. In den Achtzigern spielte Lindsay mit den Ambitious Lovers drei Platten ein, die nach den Todsünden „Envy“, „Lust“ und „Greed“ hießen. „I tried so hard not to try hard“ singt er auf „Envy“, was dann doch recht gut auch auf das Konzert von Lindsay und seinen drei Mitstreitern im Tränenpalast passt. Lindsay richtet seine Energie vor allem darauf, nicht zu viel Energie zu verschwenden.

Mit dem hübsch gesungenen „Illuminated“ von seinem neuen Album „Invoke“ eröffnet er den Abend. Vielleicht ist der Meister inzwischen tatsächlich so erleuchtet, dass er den Radau easy durch groovige Rhythmen ersetzen kann. Exzessives Gitarreschrubben wird noch zelebriert, wirkt aber zitathaft.

Seine Band ist sowieso jünger und muss wohl nicht mehr so viel negieren. Der Schlagzeuger hat sich für die Reise das bequeme Notebook-Drum eingesteckt und schafft damit Platz im Koffer für den Schottenrock über der Lederhose und Amsterdamer Holzschuhe Größe 46. Verspieltheit zeigt sich hier eher optisch als akustisch. In den Zugaben wird dann noch ein wenig nachgetreten, sodass wir nicht von der Negation in die Depression abgleiten.

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