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Anklage: Beihilfe zum Mord in 3.116 Fällen

Vor dem Oberlandesgericht in Hamburg beginnt heute der weltweit erste Prozess um die Anschläge vom 11. September

Wegen des großen Medieninteresses wurde der Gerichtssaal eigens umgebaut

HAMBURG taz ■ Die Wohnung der Attentäter in Hamburg-Harburg steht bis heute leer. Vergeblich hat der Vermieter der Marienstraße 54 in den vergangenen Monaten versucht, neue Mieter für die drei Zimmer im ersten Stock zu finden, in denen Mohammed Atta mit zwei weiteren mutmaßlichen Attentätern des 11. September lebte. Die Wohnung soll Treffpunkt der so genannten „Harburger Zelle“ gewesen sein, der „terroristischen Vereinigung“, die als verantwortlich gilt für die Attentate von New York und Washington.

Auch Mounir El Motassadeq soll oft zu Gast gewesen sein im Hause Atta. Auch er, sagt die Bundesanwaltschaft, gehörte jener „terroristischen Vereinigung“ an, habe von den Mordplänen gewusst und sie unterstützt. Ab morgen steht der Marokkaner dafür vor dem Hamburgischen Oberlandesgericht. Die Anklage: Beihilfe zum Mord in 3.116 Fällen und Mitgliedschaft in einer „terroristischen Vereinigung“. Es ist der weltweit erste Prozess um den 11. September.

Für diesen soll auch Ramzi Binalshibh als Zeuge eingeflogen werden, der einzige bekennende Mitattentäter. Der 30-jährige Jemenit lebte zusammen mit Atta in der Marienstraße und gilt als „zweiter Mann“ hinter ihm. Er soll nur deshalb in keiner der Todesmaschinen gesessen haben, weil er kein Visum für die USA bekam. Stattdessen, so die Ermittler, habe er als „Kassenwart“ der Gruppe fungiert.

Binalshibh war kurz vor dem 11. September plötzlich aus Hamburg verschwunden. Vor fünf Wochen ist er in Pakistan verhaftet worden, nachdem er sich in einem Interview des Fernsehsenders al-Dschasira als Mitorganisator der Anschläge bekannt hatte. Noch wird er an einem unbekannten Ort von US-amerikanischen Sicherheitskräften verhört. Binalshibb soll vor dem Hamburger Gericht darüber aussagen, ob der Angeklagte von den geplanten Anschlägen wusste und in die Vorbereitung eingebunden war. Der Angeklagte selbst bestreitet das.

Die Beweislage ist dünn. Als die Todesflieger im Sommer 2000 in Florida waren, um sich an Flugschulen zu Piloten ausbilden zu lassen, verfügte Motassadeq über eine Vollmacht für das Konto des späteren Attentäters Marwan al-Shehhi. Und: 1996 unterschrieb Motassadeq als Zeuge das Testament, in dem Atta den Ablauf seiner Bestattung nach muslimischem Recht festgelegt hatte.

Generalbundesanwalt Kay Nehm folgert aus diesen Indizien, Motassadeq sei „Statthalter“ der „Harburger Zelle“ gewesen, habe sich um deren Finanzen gekümmert. Motassadeqs Unterschrift unter dem Testament Attas ist für ihn ein Beleg für die Nähe des Angeklagten zum späteren Hauptattentäter. Wer so früh ein Testament anfertige, der wisse, dass er in absehbarer Zeit in den Tod gehen werde.

Motassadeqs Anwälte stellen dessen Kontakt zu den Attentätern anders dar. Verteidiger Hartmut Jacobi sagt, sein Mandant habe mit der Kontovollmacht einen Semesterbeitrag al-Shehhis für die Technische Hochschule bezahlt. Das Testament sei ein Vordruck gewesen, der in den Moscheen ausgelegen habe. Es handele sich nur um eine Aufzählung religiöser Vorschriften, wie Muslime zu bestatten sind. Jacobi sagte der taz, sein Mandant werde sich vor Gericht zu allen Vorwürfen äußern.

Insgesamt sind bislang rund 160 ZeugInnen für das Verfahren geladen, für das Termine bis Ende Januar festgesetzt sind. Sie sollen vor allem zu Motassadeqs Gesinnung und seinen Kontakten Auskunft geben. Als wichtigster Zeuge gilt neben Binalshibb der junge Deutsche Marek. Im Alter von 14 Jahren war er zusammen mit seiner Mutter und einem Bruder zum Islam konvertiert und lange in die Clique rund um Atta eingebunden. Atta, berichtete Marek gegenüber der Polizei, sei sein „persönlicher Lehrer“ gewesen, war sogar bei seiner Beschneidung dabei. Mehrmals wöchentlich seien sie zusammen zum Beten in der El-Kuds-Moschee gewesen, und auch bei den Treffen in Attas Wohnung war Marek regelmäßig dabei. Bis seine Mutter ihn aus dem Kreis der radikalen Islamisten herauszog.

Außerdem ist Shadi A. vor das Gericht geladen. Er gilt als eine der Schlüsselfiguren des Al-Qaida-Netzwerkes in Deutschland. Er hatte im Sommer im Zuge von Ermittlungen in Düsseldorf behauptet, Motassadeq vor mehreren Jahren in Afghanistan gesehen zu haben.

Wegen des erwarteten weltweiten Interesses hat das Gericht eigens den Staatsschutzsaal umbauen und vergrößern lassen. Schon jetzt ist aber klar, dass nicht alle Interessierten einen Platz finden werden. Auch Beamte des US-amerikanischen FBI müssen mit den Zuschauern in der Schlange stehen. Das Gericht hat es abgelehnt, eigens Plätze für sie freizuhalten.

Auch die Familie des Angeklagten wird sich wohl nicht auf den Zuschauerbänken einfinden. Der 28-Jährige hat eine Frau und zwei kleine Kinder, die in Hamburg wohnen. Die übrige Familie aber lebt in Marokko – und nur eine Schwester, nicht aber Motassadeqs Vater hat ein Visum zur Einreise in die Bundesrepublik bekommen.

ELKE SPANNER

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