: Festnahme mit Taschenspielertrick
Polizisten können eine blühende Fantasie haben, wenn sie jemanden festnehmen wollen. Das zeigt der Fall des Künstlers Franz K., dem Beamte ein Dekovulationsschreiben auf der Wache überreichen wollten. Aber sie hatten nur Handschellen parat
von PLUTONIA PLARRE
Wenn es darum geht, einen Haftbefehl zu vollstrecken, kennt die Polizei kein Pardon. Im konkreten Fall war es aber nicht Muskelkraft, mit der ein Gesuchter in die Knie gezwungen wurde, sondern Erfindungsgabe. Genau gesagt ein Taschenspielertrick.
Die Geschichte klingt wie ein Slapstick. Es begann eines Morgens im Oktober, als Franz K. in seinem Briefkasten ein Schreiben der Polizei entdeckte. Der 32-jährige gebürtige Österreicher, der Künstler ist, ist selten in seiner Berliner Wohnung im Stadtteil Prenzlauer Berg. Viel Zeit tingelte er mit Performances durch Europa. Da kann es schon vorkommen, dass der Briefkasten nicht geleert wird und Rechnungen liegen bleiben. Bei dem Brief der Polizei an den „sehr geehrten Herrn K.“ handelte es sich jedoch um keine Mahnung. „Hiermit teilen wir ihnen mit, dass auf dem Abschnitt 76 in der Eberswalder Straße 6–9 für sie ein Dekovulationsschreiben (…) hinterlegt wurde“, heißt es im Text. „Wir bitten sie, dieses Schreiben, alsbald persönlich gegen Unterschrift in Empfang zu nehmen.“ Dekovulationsschreiben? Was zum Teufel ist das, fragte sich K., der das Wort noch nie gehört hatte. Er rätselte nicht lange, griff zum Telefonhörer und rief bei dem Polizeirevier an. „Wie bitte?“ fragte der Beamte am anderen Ende der Leitung, als sich K. nach dem Dekovulationsschreiben erkundigte. Erst als K. das Geschäftszeichen und den Namen eines gewissen Polizeihauptmeisters A. nannte, schien dem Beamten zu dämmern, worum es ging. „Das ist irgend so ein Schreiben, das müssen Sie abholen“, sagte er schnell. Wann, wollte K. wissen. „Jederzeit.“ Komisch, dachte sich K., nachdem er den Hörer aufgelegt hatte. Normalerweise haben Behörden immer Sprechzeiten. Da stimmt was nicht.
Zehn Minuten später rief er im Revier noch mal an. Diesmal wurde er zu A. durchgestellt, der sich noch merkwürdiger benahm. Was tun, fragte sich K., der längst das Internet nach dem Wort Dekovulationsschreiben durchforscht hatte. Das Ergebnis: nicht bekannt. Schließlich entschloss er sich, in Begleitung eines Freundes zur Polizei zu gehen. Die Neugierde hatte über das Misstrauen gesiegt.
Auf dem Polizeiabschnitt ging dann alles ganz fix. Kaum dass er das Schreiben am Schalter vorgelegt hatte, telefonierte ein Beamter. Dann stürmten zwei Uniformierte in den Wachraum. Der eine sicherte die Tür, der andere – Polizeihauptmeister A. – ging zum Schreibtisch, warf einen Blick auf eine Liste und sagte: „Gegen Sie gibt es einen Haftbefehl.“ K. war sich keiner Schuld bewusst. Es stellte sich heraus, dass das Corpus Delicti zwei Bußgeldbescheide wegen Falschparkens waren. Gesamtbetrag: 32,60 Euro. Weil er sämtliche Zahlungsaufforderungen ignoriert hatte, hatte die Justiz gegen K. eine zweitägige Erzwingungshaft angeordnet. Der Knast blieb K. jedoch erspart. Er bezahlte auf der Wache sofort in bar.
Das Beispiel aus den USA
Bevor er als freier Mann den Heimweg antrat, wendete sich K. noch einmal an den Polizeihauptmeister A. „Sie haben mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt“, sagte K., auf eine entschuldigende Erklärung hoffend. Doch A. dachte nicht daran. Im Gegenteil. „Er hat sich selbstgefällig auf die Brust gekopft und geprahlt: Das Wort Dekovulation habe er selbst erfunden. Das sei aber noch eine seiner leichtesten Übungen. Er habe noch ganz andere Sachen auf Lager, aber die werde er mir nicht verraten“, erinnert sich K. Seit jenem Erlebnis, sagt K., habe sein Vertrauen in den Rechtsstaat einen ganz schönen Knacks bekommen. Wenn die Polizei einem Mörder eine Falle stelle, könne er das ja verstehen, aber nicht wegen so einer geringen Summe.
Ein Polizeisprecher sagte auf Nachfrage, Finten und Tricks seien ein legales Mittel, um Haftbefehle zu vollstrecken. Dass sich Beamte Begriffe ausdächten, sei zwar nicht an der Tagesordung, aber nicht zu beanstanden, zumal die Aktion von Erfolg gekrönt worden sei. „Besser kleine Tricks als einem Gesuchten die Haustür eintreten.“ In den USA, erinnert sich der Polizeisprecher, hätten die Cops sogar einmal zweihundert Schwerverbrecher unter dem Vorwand in eine Turnhalle gelockt, sie hätten in der Lotterie gewonnen.
Dem Innenexperte der Grünen, Volker Ratzmann, bleibt bei derlei Anekdoten allerdings das Lachen im Halse stecken. Solche Methoden seien ihm in Berlin bislang nur von der Ausländerbehörde bekannt: dass ein Flüchtling, dessen Duldung auslief, unter dem Vorwand, diese werde verlängert, wenn er zwei Fotos mitbrächte, in die Behörde bestellt wurde. Tatsächlich wanderte er in Abschiebehaft. Der Rechtsgrundsatz des transparenten, fairen Verfahrens werde durch solche Machenschaften ausgehöhlt, warnt Ratzmann. „Was sollte einen Polizisten sonst davon abhalten, bei einer Vernehmung zu behaupten, er sei ein Pfarrer und unterliege als solcher der Schweigepflicht? Wenn der Beschuldigte ein Geständnis abgelegt hat, braucht er nur zu sagen: „April, April“.
Fragt sich, was Polizeipräsident Dieter Glietsch (SPD) von so einem Verhalten seiner Beamten wie im Fall K. hält. – Im Sommer hatte Glietsch in einem taz-Interview über die Kennzeichnung von Polizisten erklärt: „Ich halte sehr viel davon, dass Polizeibeamte mit ‚offenem Visier‘ arbeiten, und zwar möglichst bei allen Gelegenheiten.“
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