: Meine Gene gehören mir
Mit „Facing Goya“ nimmt Michael Nyman am Badischen Staatstheater Karlsruhe seine Arbeit als Composer in residence auf. Doch das Stück verfehlt das komplexe Thema Reproduktionsmedizin
von ROLF FATH
Für den Friedenszug Gandhis, die altägyptische Pharaonengeschichte und die Entführung der Achille Lauro nutzte das Musiktheater der Achtzigerjahre den gleichen Klangteppich, den es auch für „Nixon in China“ ausrollte. Die Opern von Philip Glass und John Adams hievten das aktuelle Tagesgeschehen geradewegs auf die Opernbühne. Kein Wunder, wenn auch Michael Nyman, zwar nicht der Erfinder der Minimal Music, aber immerhin der Mann, der dieser Musik den Namen gab, mit den sich repetierenden Kleinstmotiven so anspruchsvolle Themen wie die Neurologie – in seiner bekanntesten Oper „Der Mann, der seine Frau für einen Hut hielt“ – auf die Musikbühne holt und jetzt mit dem Thema Klonologie wieder am Nerv der Zeit ist. In „Facing Goya“ geht es um den Schädel des berühmten Malers, der das Geheimnis seiner Kunst preisgeben soll. Vor zwei Jahren ohne Widerhall in Spanien uraufgeführt, erlebte die Oper jetzt in einer neuen Fassung ihre Erstaufführung am Badischen Staatstheater in Karlsruhe.
Viel Zutrauen in den Filmkomponisten haben die deutschen Bühnen nicht. Nur so lässt sich erklären, dass Nymans Neufassung ausgerechnet in Karlsruhe herauskam, wo man die Gelegenheit nutzte, den 58-Jährigen gleich als Composer in residence für den Spielplan dingfest zu machen. Nyman ist kein John Williams des englischen Kunstfilms, sondern ein gewiefter Musiker, der aus seinen Filmsounds patente Kompositionen kompiliert. Sie reichen vom Klavierkonzert aus „The Piano“ bis zu den Songbooks und schließen tageslichttaugliche Werke wie die Musik für die Eröffnung der Nordstrecke des französischen Hochgeschwindigkeitszugs ebenso wie apart geklöppelte Kammermusik ein. Auf dieser Basis hat er für ein 16-Mann-Orchester eine zwischen Jazz-Applikationen und gediegener Streichklassik eingependelte Musik geschrieben, die den großen Bogen für einen Opernvierakter besitzt, auch wenn sie die Geduld des Hörers zunehmend auf den Prüfstand schickt. Doch das Problem ist nicht diese pfiffig geklonte Musik, die sich von den Stücken eines Glass oder Adams durch ihren swingend frechen und scharfen Zugriff wohltuend abhebt, sondern der Text. Eigentlich auch nicht der Text, sondern die komplexen Themen, welche „Facing Goya“ im Schnelldurchlauf streift.
Die Altistin – alle Figuren werden nach ihrem Stimmfach benannt – eine von Goya besessene Kunsthändlerin, ist in den Besitz von Goyas Schädel gekommen. Von vier Wissenschaftlern wird der Schädel im Labor nach allen Methoden des 19. Jahrhunderts vermessen. Im zweiten Akt geht es um Menschenzucht, um ihre anrüchige Vorgeschichte in der Rassenlehre, schließlich um Mutation, Genveränderungen und Klone. Goya selbst macht dem Treiben ein Ende, fordert sein Genpatent ein („Meine Gene gehören mir“) und die Kunsthändlerin bleibt ebenso wie die Wissenschaftler gebrochen zurück. Nyman und seine Autorin funktionieren die Bühne zum Vorlesungssaal um und stellen den Zuhörern mehrere Monitore um die sechseckige Zeltbühne zur Verfügung, auf denen der Text der englisch gesungenen Aufführung Zeile für Zeile verfolgt werden kann. Das ist notwendig, geht es doch um eine Geschichte der Anthropologie, um die Vermessung und Züchtung von Menschen, um Namen wie Broca, Camper und Lavater und Nordau.
Nie ist man sicher, ob sich Nyman nicht über eine gewisse Wissenschaftlichkeit lustig macht, denn nachdem die Altistin, die vorzügliche Hilary Summers, wie eine Diseuse der Vierzigerjahre ihre Elogen vorgetragen hat, gewinnt die Oper einen musikalischen Witz, dürfen sich die beiden Soprane (Annette Robbert, Wilja Ernst-Mosuraitsi), der Tenor (Kenneth Garrison) und der Bariton (Christian Rieger), die zuvor vokale Pflichtübungen erfüllt haben, als alerte Chorusline profilieren, doch leider schafft diese Labor-Farce nicht den Sprung zur Klon-Operette, so rotzig frech sich der Text zwischendurch auch gebärdet („Ist bei dir ein Gen verrückt, dich die Gesellschaft unterdrückt“). Keine Hilfestellung leistet dem Zuschauer Robert Tannenbaums artige Inszenierung im durchscheinenden Gaze-Zelt, auf dessen Wände kleine Videoausschnitte projiziert wurden, welche die Zusammenarbeit mit dem renommierten ZKM auf eher dürftige Weise dokumentieren.
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