: Urbane Partisanen
Auch an den Rändern soll es schön werden: Die Künstlergruppe Dezentral Berlin eröffnet ihre erste eigene Galerie in Kreuzberg
Seit einigen Monaten ist es unruhig in Berlins Kunstszene – explosionsartig bahnt sich an immer neuen Orten die Kunst von Dezentral Berlin ihren Weg ins Freie. Die Gruppe beansprucht ihren Raum und wird in der Stadtlandschaft immer präsenter: Im Juli gab es einige Ausstellungen in der Moabiter Galerie „Flachware“, Ende August stellten sich alle 13 Künstlerinnen und Künstler der Gruppe mit Bildern und Skulpturen in einer gemeinsamen Ausstellung vor.
Diese dezentralen Dreizehn sind grundverschieden: Studierte und Autodidakten der Jahrgänge 45 bis 80; aus Deutschland, Amerika und Syrien. Einige mit enormer Ausstellungserfahrung in Städten wie Kopenhagen, Mailand, Warschau und natürlich Berlin, aber auch andere, die am Anfang ihrer Laufbahn stehen. Nicht nur in den Lebensläufen, auch in den Werken spiegelt sich die Vielfalt der disparaten Gruppe.
Tatsächlich ist es schon allein in Bezug auf Techniken und Stile schwer, eine verbindende Linie zu finden: Da gibt es Muhannad Zidans wild-verwaschene Strukturensammlungen, die beim näheren Hinsehen immer größeren Reiz und faszinierende Intensität gewinnen. Dann Clemens Wilhelms greise Frauen in Lebenskämpfen, mit aufgewühlten Blicken. Amerikanische Szenarien von Mattheo M. Maaz, mit einem eigentümlichen, lockenden Glanz, meist menschenlos. Schutzlose junge Frauen, die entblößt ihr Innerstes nach außen zu kehren scheinen, gemalt von Viola Wandrey. Und dann diese bunten Figurinen! Feste, bunte Körperchen voll enormer Kraft, die unmögliche Verrenkungen vollbringen – Katrin Dillkofers unverkennbarer Stil.
Gerade diese Vielfalt ist gewollt: Bei Dezentral Berlin geht es zuallerletzt um einen uniformen, zentralen Stil – der Name ist Programm. Die Gruppe bietet den Rahmen für die individuelle Entwicklung eines jeden Mitglieds, sie stärkt einzelne künstlerische Positionen: Jeder soll seinen eigenen Stil festigen. Ursprünglich ging es der Gruppe darum, dem desaströsen Verkommen des Stadtteils Moabit entgegenzuwirken. Nicht nur in der Mitte sollte es brummen und burnen, bunt und reich sein; die Dezentral-Künstler wollen die Schönheit des Zentrums auch an den Rand tragen und umgekehrt. Aber nicht nur innerhalb Berlins verschiebt die Gruppe die Grenzen zwischen Peripherie und Zentrum; sie plant auch eine Ausstellungstour durch Deutschland und Europa, deren vorläufige Ziele Lüdenscheid, Rostock, Emden, Freising, Paris und Budapest sind.
Wieder: Weg vom Zentrum, weg vom Mainstream. So betreibt die Gruppe eine Art Guerilla-Malerei gegen den etablierten Kunstbetrieb. Bei Dezentral Berlin ist alles in Bewegung. Ein bewegtes Arbeitsfeld, bewegte Gedanken, neue Ideen.
Die Gruppe arbeitet schnell, aber sorgfältig. Sie schafft eine abwechslungsreiche, absolut lebensnahe Kunst. Die ist zwar sperrig, aber mit Charme und Verrücktheiten gespickt. Sie ist alltäglich und allgegenwärtig, aber bereichernd. Verändernd und bewegend zieht die Gruppe scheinbar ruhelos durch die Stadt und taucht wie eine Hand voll Partisanen unerwartet und an den unmöglichsten Orten auf.
Unterstützt von „urban dialogues e. V.“ eröffnete sie vor einer Woche ihre eigene Galerie. Bis Weihnachten sind dort fünf Ausstellungen geplant, die die Gruppe „Spiele“ nennt. Noch bis zum Sonntag kann man Markus Beers fantastische Farben, die ineinander fließend Räume und Träume erschaffen, und Rainer Wieczoreks bunt-absurde Gestalten und Akte betrachten. Das zweite Spiel mit dem Titel „Trugbilder, Verborgenes, Bruchstücke“ beginnt dann am nächsten Donnerstag und wird Kunst von Hubert W. Jäger und Wolfgang Kramer zeigen. LENA HOPPE
Dezentral Berlin, Wrangelstraße 64, Kreuzberg. Donnerstag und Freitag 17–20 Uhr; Samstag und Sonntag 14–17 Uhr. Weitere Informationen: www.dezentral-berlin.de
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