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Kurzlebige Antimaterie aus Genf

Physikern am Europäischen Kernforschungszentrum (Cern) in Genf ist es gelungen, 50.000 Antiwasserstoffatomezu erzeugen. Das Ziel: Vergleich der physikalischen Eigenschaften mit denen des normalen Wasserstoffes

Mancher mag sich sehr wundern. Aber dass es uns Menschen überhaupt gibt, verdanken wir dem merkwürdigen Verhalten geheimnisvoller X-Teilchen kurz nach dem Urknall. Denn diese sorgten dafür, dass mehr Quarks – Bausteine der Protonen und Neutronen – als Antiquarks die Millionen Grad heiße Ursuppe aus Elementarteilchen und Strahlung überlebten.

Warum dies so ist, bleibt bislang noch völlig im Dunkeln. Daher entstand die Idee, die physikalischen Eigenschaften eines Atoms und des Antipoden desselben Elements direkt miteinander zu vergleichen. Als Paradebeispiel eignet sich dazu das Wasserstoffatom, weil es als Einfachstes seiner Art im Kern nur aus einem positiv geladenen Proton besteht und in der Atomhülle ein negatives Elektron aufweist. Beim Gegenstück kehren sich hier vor allem die Ladungen um: Hier füllt den Kern ein Antiproton mit negativer Ladung aus; in der Hülle schwirrt ein positiv geladenes Positron ums Zentrum.

Ein internationales Team von 39 Wissenschaftlern – darunter der Schweizer Physiker Claude Amsler von der Universität Zürich und Jeffrey Hangst aus Aarhus in Dänemark – stellte am Europäischen Kernforschungszentrum (Cern) in Genf im Projekt „Athena“ erstmals eine größere Menge an Antimaterie her: Nach Angaben des Instituts gelang es, 50.000 Antiwasserstoffatome nachzuweisen.

Für diesen Zweck hatten die Forscher zunächst in fünfjähriger Arbeit eine spezielle Apparatur entwickelt. Hiermit ließen sich die Antiprotonen aus dem Protonenbeschleuniger mit den Positronen aus der radioaktiven Quelle des Natriumisotops 22 zu Antiwasserstoff kombinieren.

Diese Apparatur besteht aus zwei Lagen von Siliziumstreifen-Detektoren, die elektronisch die Spuren der geladenen Pi-Mesonen aufzeichnen. Die Pi-Mesonen sind mittelschwere Teilchen, die bei der Vernichtung eines Protons mit seinem Antiteilchen entstehen. Hingegen zählt eine äußere Schicht von Cäsiumiodid-Kristallen am Detektor die Photonen (Lichtquanten), die von der heftigen Reaktion des Elektrons und seinem Antipoden künden.

Im Einzelnen: Zunächst wurden die Antiprotonen aus dem Beschleuniger abgebremst und in einem elektromagnetischen Feld gespeichert. Ebenso landeten die Positronen in einer solchen Falle. Im nächsten Schritt gelangten beide Spezies in ein weiteres elektromagnetisches Feld. Bei einer Temperatur von 15 Kelvin (–258 Grad Celsius) stellte sich in ein thermisches Gleichgewicht ein. Hier bildeten sich dann die Antiwasserstoffatome.

Da sie aber elektrisch neutral sind, ließen sie sich nicht in den Feldern halten und wanderten zur Wand der Apparatur. Daher existierten sie nur wenige Sekundenbruchteile, bevor sie dann mit dem Wandmaterial zu Pi-Mesonen und Photonen reagierten und sich aufgrund von Einsteins berühmter Masse-Energie-Relation in reine Strahlung verwandelten.

Die Detektoren dieser Apparatur zählten dabei diese Umwandlungen in Stückzahl. Registriert wurden 130 Vernichtungen. Da die Nachweiswahrscheinlichkeit des Detektors bei 2,5 Promille lag, wurden laut Cern insgesamt mindestens 50.000 Antiwasserstoffatome erzeugt.

Doch das eigentliche Ziel sei, so die Genfer Physiker, das physikalische Verhalten der Antiatome mit der originalen Spezies direkt zu vergleichen. So soll das Positron des Antiwasserstoffatoms in weiteren Experimenten auf ein höheres Energieniveau gehoben und dieser Wert mit dem von Wasserstoff verglichen werden. Die dabei aufgenommene Energie wird auf eins zu einer Trilliarde (eine Eins mit 18 Nullen) genau gemessen.

Um Störeffekte zu vermeiden, ist es notwendig, den Antiwasserstoff gleich bei sehr niedrigen Temperaturen am absoluten Nullpunkt zu erzeugen. Schließlich würde sich eine Kühlung der hergestellten Antimaterie als sehr schwierig erweisen, weil sich dann die Antiatome und die Atome des Kühlmittels gegenseitig vernichten würden.

Bleibt abzuwarten, ob die Wissenschaftler eines Tages Erfolg vorweisen können. Falls es gelänge, einen noch so kleinen Unterschied im physikalischen Verhalten beider Materiearten zu finden, wäre dies ein Meilenstein in der Physik. Denn auf diese Weise könnten die Genfer Physiker auch darüber Aufschluss geben, warum Antimaterie in unserem Universum fast vollständig fehlt. JOACHIM EIDING

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