: Paul Kirchhofs neue Freiheit
Die Kehrtwende des Heidelberger Steuerpapstes: Splittingvorteil auch für wilde Ehen
BERLIN taz ■ Es war einmal ein Verfassungsrichter, der praktisch im Alleingang das Familiensteuerrecht der Republik veränderte: Paul Kirchhof. Wenn der konservative Finanzspezialist eine Entscheidung in Karlsruhe vorbereitete, zitterten die Regierenden. Denn die von Kirchhof vorbereiteten Urteile kosteten stets Milliarden – und sie zementierten die Bastion von Ehe und Familie.
Als die Grünen jüngst auf die Idee kamen, das so genannte Ehegattensplitting auch nur einzuschränken, reichte ein Beitrag des inzwischen aus dem Verfassungsgericht ausgeschiedenen Steuerpapstes, um alle Blütenträume zu beenden. Kirchhof warnte davor, „Menschen in die Berufsarbeit zu drängen und von der Familienarbeit fern zu halten“. Aus war’s mit den progressiven Träumen. Kirchhof lehnte sich in seinem Heidelberger Lehrstuhl für Finanz- und Steuerrecht zurück. Die Grünen, die Alleinerziehenden und die Unverheirateten tobten.
Seit gestern ist alles anders. Da stellte ein vergnügter Paul Kirchhof erneut seine radikale Vereinfachung des Steuersystems vor – und präsentierte wie nebenbei seine Kehrtwende im Familiensteuerrecht. In seinem „Karlsruher Entwurf“, der 70.000 real existierende Steuernormen durch ein „schmales Bändchen“ von 21 Steuerparagrafen ersetzen soll, geht es zu wie in einem „Garten der Freiheit“ – auch für Paare. Egal ob sie verheiratet sind oder nicht, ob wilde Ehe oder von Gott getraut, in Kirchhofs Steuerparadies erhalten sie alle die gleichen Vorteile. Sie müssen nur deklarieren, dass sie verheiratet sind – und schon kommen sie in den Genuss der Splittingvorteile. Kirchhof dazu wörtlich: „Wir wollen keinen Staatskommissar, der bei Tisch und Bett erkundet, ob das Paar verheiratet ist.“ Alle, auch Kinder, erhalten einen „Menschen“-Freibetrag von 8.000 Euro. Und Paare zusätzlich Splittingvorteile aus der gemeinsamen Steuerveranlagung.
Das Modell des konservativen Revolutionärs ist einfacher und libertärer als alles, was Grüne und SPDler in den Koalitionsgesprächen erörterten. Es hat nur einen Nachteil: Es wird nicht kommen. Kirchhofs simples Steuerrecht finden zwar alle gut (inklusive sechs Finanzministern von CDU und SPD). Aber es tut auch allen Interessengruppen sehr weh – denn es gibt, außer dem Freibetrag für „Menschen“ und Paare, keine einzige Steuervergünstigung mehr.
CHRISTIAN FÜLLER
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