Blauer Himmel, pinke Häuschen

Mit Griffel, Schere und Klebestift brachten Bürgermeister, SenatorInnen und sogar der Bremer Polizeipräsident ihre Visionen einer „lebendigen Stadt“ zu Papier. Heute werden die kreativen Meisterwerke von Scherf & Co. im Roland-Center meistbietend versteigert. Bisheriges Höchstgebot: 200 Euro

Mordhorsts Kunst lässt ein kommunikatives Vakuum zurück

„Einst haben die Kerls auf den Bäumen gehockt, / behaart und mit böser Visage. / Dann hat man sie aus dem Urwald gelockt / und die Welt asphaltiert und aufgestockt, / bis zur dreißigsten Etage.“ Soweit Erich Kästner, aber die Geschichte geht noch weiter. Die Leute haben nebenher nämlich ihre musischen Fähigkeiten entdeckt und Kunstwerke geschaffen, die von der Natur nicht zu toppen sind.

Eine eindrucksvolle Demonstration davon ist derzeit im Roland-Center zu bewundern: Bremer Größen wie Bürgermeister Henning Scherf und Polizeipräsident Eckard Mordhorst haben zum Wachsmaler und zur Uhu-Tube gegriffen und sich großformatig künstlerisch betätigt. „Stadt der Zukunft“ hieß die Malaufgabe der bundesweiten Stiftung „Lebendige Stadt“, an der sich im Juni diesen Jahres in 43 Städten große und kleine kommunale Fische beteiligten.

Wir sehen da, auf weißer Stellwand im Einkaufszentrum, zunächst einmal natürlich das Werk von Henning Scherf: Eher skizzenhaft, mit leichtem, suchendem Strich hat er sich dem Thema Fußgängerzone genähert. Diese ist bei ihm in zwei Bahnen eingeteilt: In die eine Richtung sind die Leute zu Fuß, in die andere mit dem Fahrrad unterwegs. Toll: Es gibt keine Zusammenstöße. Das ganze läuft in Zentralperspektive auf den Fluchtpunkt Dom zu. Aber auch die Geschäfte, die die Fußgänger in die Zone locken sollen, hat er nicht vergessen. Der Firmenname Hachez ist da zu lesen, und über allem thront der Mercedesstern. In der Ausführung ist Scherf hier allerdings etwas flüchtig geblieben, gönnt seinen Investoren nur dünne Bleistiftstriche.

Da ist Wolfgang Brakhane, Geschäftsführer des Einzelhandelsverbands Nordsee schon deutlicher: Eine grüne Waldkulisse ist durch ein Pluszeichen mit einer Stadtsilhouette verbunden, darunter in großen Lettern „Shopping + Leben“. Eine sehr grafische Arbeit, die sich aufs Wesentliche beschränkt. Karin Röpke, Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales hingegen ist dem Impressionismus verpflichtet: Bäume in unterschiedlichsten Grüntönen stehen vor blauem Himmel und pinken Häuschen.

Die verstörendste Bremer Arbeit hat aber Polizeipräsident Eckard Mordhorst beigesteuert. Er hat eine Fotocollage erstellt, mit Bildern von Windrädern, Autobahnkreuzen und Arbeitern. In der Mitte dann, im Verhältnis riesig groß, zwei paar weibliche Augenaufschläge, wie vom lieben Gott persönlich fotografiert. Darunter gibt es einen schriftlichen Kommentar: „Zeit fürs Leben“, steht da, „...aus purer Leidenschaft.“ Wenn das keine rosigen Aussichten sind! Nur, was hat das mit der Stadt zu tun? Häuser in Frauenform? Ein virtuoses Spiel mit Zeichen... Mordhorsts Kunst entzieht sich der kompletten Ausdeutung, lässt den Betrachter in einem kommunikativen Vakuum zurück.

Insgesamt ca. 20 Werke sind im Roland-Center zu betrachten. Heute um 15 Uhr werden sie versteigert. Bislang sind Gebote bis zu 200 Euro eingegangen, verrät Norbert Fels, der Center-Manager. Den Erlös für den echten Scherf und die anderen Perlen erhält natürlich die Stiftung „Lebendige Stadt“. Wir sind gespannt auf weitere visionäre Projekte. Lene Wagner