„Tiefster Einschnitt“

„Spiegel“-Redakteur Dieter Wild über die Bedeutung des 26. Oktober 1962 und das Verhältnis Augstein – Strauß

Dieter Wild (71) hat vierzig Jahre lang für den Spiegel gearbeitet. Er begann 1960 im Deutschland-Ressort, war Korrespondent in Paris, leitete das Auslandsressort und wurde 1994 stellvertretender Chefredakteur. Er schreibt heute noch Essays für das Magazin.

Wie haben Sie die Nacht des 26. Oktober 1962 erlebt?

Als die Polizeiaktion begann, war ich nicht mehr in der Redaktion. Ich bekam einen Anruf und fuhr schnell zurück. Die Stimmung unter den Mitarbeitern dort war bedrückt, aber unsere Existenz fühlten wir in diesem Moment nicht bedroht.

Wie ist die Polizei vorgeganen?

Sie haben unsere Unterlagen, insgesamt 17 000 Leitz-Ordner, und sogar unsere Schreibmaschinen beschlagnahmt. Die Aktion der Polizei wirkte auf mich brutal und unprofessionell zugleich.

Dem Spiegel wurde die Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen vorgeworfen. Waren es denn geheime Unterlagen?

Die angeblich Deutschland gefährdenden Informationen waren alle schon veröffentlicht. Der Spiegel hat sie zu einem Gedankengebäude zusammengefügt.

Beginnt die Geschichte des Spiegel – wie wir ihn heute kennen – erst mit der Affäre?

In gewisser Weise, ja. Durch die Affäre wurde der Spiegel international bekannt und erlangte Ansehen. Daraufhin begann man auch das Netz der Auslandskorrespondeten weiterzuspannen. Aber auch schon davor war der Spiegel mit einer Auflage von fast 500.000 ein erfolgreiches kritisches Blatt.

Was bedeutet die Affäre für die Geschichte der BRD?

Sie war das Ende der Ära Adenauer und der tiefste Einschnitt in Nachkriegsdeutschland vor der 68er-Bewegung.

Es heißt, Augstein und Strauß hätten sich gehasst. Wie würden Sie das Verhältnis beschreiben?

Augstein fand, dass Strauß mit seinem Verständnis von Demokratie nicht für einen Ministerposten geeignet sei. Von Hass kann man aber nicht sprechen, später gab es sogar wieder Spiegel-Gespräche mit Strauß. Bei dem damaligen Chefredakteur Erich Böhme habe ich ihn auch mal zu Hause getroffen.INTERVIEW: SAT