Vor dem Spiegel ist hinter dem Spiegel

Die blank polierten Oberflächen der Ausdruckslosigkeit: Das Deutsche Guggenheim Berlin zeigt Gerhard Richters Auftragsarbeit „Acht Grau“. Die acht glänzenden monochromen Tafeln verraten viel über das Misstrauen gegenüber all den Versprechen, die die Kunst in der Hauptstadt einlösen soll

von HARALD FRICKE

Vom Brandenburger Tor bis zum Stadtschloss wird in Berlin kräftig rekonstruiert. Ein bisschen Glas hat sich zwar auch zwischen die klassizistischen Fassaden gemischt, aber der Trend in der historischen Mitte geht doch vor allem zu Marmor, Sandstein und Schinkel. Auch das Gebäude der Deutschen Bank macht da wenig Unterschied – für Gerhard Richter ein Grund mehr, sich mit seiner Arbeit „Acht Grau“ dieser Häuserfrontbildung zu verweigern. Schließlich ist Grau seine Signatur seit den Sechzigerjahren: Die ersten Gemälde nach Fotovorlagen, die er 1961 nach seiner Übersiedelung in den Westen gemalt hat, waren grau, seine monochromen Bilder ab 1966 ebenfalls. Grau ist bei Richter schon immer die Farbe des Widerstands – ein Signal für Unvereinbarkeit und Unversöhnlichkeit mit dem, was er „kapitalistischen Realismus“ nannte.

Dabei sind die acht Tafeln, die er jetzt als Auftragsarbeit des Bank und der kooperierenden Guggenheim Foundation produziert hat, durchaus an die Monumentalität des umgebenden Stadtambientes angepasst. „Acht Grau“ besticht durch eine bis an die Schmerzgrenze hochgefahrene Neutralität in Form und Material: 5 Meter mal 2,70 Meter ragen die mit Stahlträgern 50 Zentimeter von der Wand befestigten Glasplatten in den Raum. Die Rückseiten wurden ganzflächig mit betongrauem Pigment emailliert, so dass man weder Pinselspuren noch irgendwelche Zwischentöne sieht – Richter hat für „Acht Grau“ mit „Verroplan“, einem Ingenieurbüro für Glasanwendungen, zusammengearbeitet.

Schon die Aufhängung der zehn Millimeter dicken Scheiben mit Punkthalterbefestigungen und delikaten Rahmen aus Edelstahlrohr erinnert an Techniken, die eher auf Baufachmessen begeistern als im Kunstbetrieb. In Zweierreihen an den Längswänden befestigt, fügt sich „Acht Grau“ ins mächtig repräsentative Interieur der Bank, die zu den Global Players zählt, und ist zugleich eine konsequente Fortsetzung von Richters beschichteten Glastafeln „Schwarz, Rot, Gold“ für den Reichstag, über die sich Bundestagspräsidentin Antje Vollmer bereits vor der ersten öffentlichen Präsentation 1999 sehr verärgert zeigte und angesichts der reduzierten Sprödheit von „Scharlatanerie“ sprach.

Nun sind auch Richters Tafeln in der Deutschen Guggenheim ironisch fixiert wie so viele andere Kunstwerke der Minimal Art, das reicht von Daniel Burens Standardformaten im Markisenlook bis zu Lawrence Weiners direkt auf die Wand gemalten Satzsplittern oder Carl Andres als Furnierquadrat ausgelegte Holzplatten. Der Betrachter steht vor genau dem, was es ist, und fragt sich ständig, was es sein könnte. Karge Dekoration inmitten von Herrschaftsarchitektur? Ein Mausoleum der Malerei? Oder ein trickreich gehängtes Kabinett aus monochromen Flächen, in deren blank polierten Oberflächen man sich automatisch spiegelt?

Dieses Vexierspiel treibt Richter mit „Acht Grau“ auf die Spitze: Dafür hat er die Verkleidung im Inneren der Ausstellungsräume entfernen lassen, hat sogar die Milchglasfenster durch transparente Scheiben ausgetauscht, damit auch die Passanten auf der Straße beim flüchtigen Blick ins Bankgebäude auf stumme graue Flächen starren. Der enorme Aufwand konterkariert jedoch keinesfalls die Situation, er macht überhaupt sichtbar, welcher repräsentative Stellenwert einer Arbeit wie „Acht Grau“ als Auftragswerk aufgebürdet wird. Ständig befindet sie sich im Widerspruch: Die Monumentalität der einzelnen Tafeln steht im Kontrast zu ihrer seriellen, industriellen Fertigung; ihr Architekturbezug macht sie zu einem ambivalenten Passstück zwischen Öffentlichkeit und Unternehmenskultur; und noch die Ausdruckslosigkeit, die in dem neutralisierenden Allover des Graus liegt, bricht in dem Moment auf, da der Betrachter vor eine der beschichteten Glasscheiben tritt – und sich in ihnen der gesamte Raum mit ihm selbst darin spiegelt: „Acht Grau“ ist eine Meditation über das Sehen – und über das Gesehenwerden von Kunst. Statt Deutungen von Wirklichkeit in Bildmotive zu übersetzen, sind Richters Tafeln eine Konstellation künstlerischer Wirklichkeit, an der der Betrachter im Betrachten teilhat. Er ist der eigentliche Gegenstand des Bildes, er bildet sich in seinem eigenen Blick ab.

Dieses Gleichmaß ruiniert den exklusiven Auftrag, macht ihn zu einem durch und durch demokratischen Prozedere: Der Künstler tritt hinter der Wirklichkeit zurück und macht Platz für neue Wirklichkeiten, die sich von Moment zu Moment ändern – was sollte er auch sonst malen, als Hommage an einen Ort des Umbruchs, als Kommentar zum Wandel Berlins?

Nicht von ungefähr spricht der Kunsttheoretiker Benjamin H. D. Buchloh, der die Ausstellung kuratiert hat, von Richters „Acht Grau“ deshalb auch als einer Kritik an der gängigen Gedenkpolitik. Weder lässt sich seiner Meinung nach der Terror der Vergangenheit in einem Bild oder Memorial fassen, noch soll, darf und kann Kunst ein Steigbügelhalter für die Zukunftsperspektiven der neuen Hauptstadt sein. Deshalb hält Buchloh Richters Ansatz für ein in Form gebrachtes Misstrauen gegenüber all den Versprechungen, die am Ende ohnehin Berlin und seine Bewohner einlösen müssen, aber nicht die Kunst. Sie zeigt, was ist. Dafür hat sich Richters Einsatz für diesen Ort – ohne allen Prunk und ohne alle Pracht – schon gelohnt.

Bis 5. 1. 2003; Deutsche Guggenheim Berlin; Katalog, 129 Seiten, 29 €