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Das Heroin unter den Glücksspielen

Heute eröffnet in Hamburg die bundesweit erste Online-Spielbank. Suchtexperten warnen vor Gesundheitsgefahren, Opposition aus SPD und GAL kündigt Verfassungsklage an, weil Senat Fakten schafft, bevor Expertenanhörung ausgewertet ist

von ELKE SPANNER

Den Kampf gegen Drogen bezeichnet der rechte Senat als eines seiner wichtigsten Anliegen. Wenn die Stadt aber selber an den Suchtstoffen verdienen kann, sieht die Sache ganz anders aus. Obwohl schon jetzt in Hamburg mindestens 8000 Menschen süchtig nach Glücksspielen sind, eröffnet morgen das bundesweit erste Roulette-Casino im Internet – lizensiert vom Senat. Der, so Bert Kellermann, ehemaliger Psychiater in der Suchtambulanz des UKE, „produziert weitere Süchtige: Roulette ist das Heroin unter den Glücksspielen“. Für Beratungs- und Therapieangebote für diese Suchtkranken stellt die Regierung keinen Cent bereit.

Roulette, erläutert Therapeutin Gisela Alberti von der „Aktiven Suchthilfe“, wirkt wie manch harte Droge: Es putscht auf. Bisher müssen SpielerInnen zumindest einige Hürden nehmen, um sich den Kick zu verschaffen. Sie müssen ins Casino gehen, der Kleiderordnung genügen und womöglich einen Hinweis der Croupiers in Kauf nehmen, wenn ihr Spielverhalten unkontrolliert erscheint. Ab heute aber brauchen sie bloß noch ihren Computer einzuschalten. Per Web-Cam wird der Roulette-Kessel von der Spielbank im Hotel Interconti auf den heimischen Bildschirm übertragen. Geld gesetzt wird per Tastendruck, abgebucht von der Kreditkarte.

Alberti erinnert an das drogentherapeutische Prinzip, KonsumentInnen möglichst von den Suchtstoffen fern zu halten. Gerade in den eigenen vier Wänden müssten sie geschützt sein. AlkoholikerInnen beispielsweise dürften keinen Alkohol im Hause aufbewahren. Den Tipp, keinen Computer aufzustellen, könne man Spielsüchtigen aber nicht geben. Denn „wer keinen Zugang zum Internet hat, ist von vielen Bereichen gesellschaftlichen Lebens abgeschottet“.

Die Spielbank selbst sieht im Online-Roulette kein Problem. „Wir halten unser Angebot für nicht problematisch“, sagt Geschäftsführer Otto Wulferding. Schließlich gebe es gewisse Schutzmechanismen: Bei der Anmeldung müssten die Spieler sich mit Personalausweis ausweisen. Die Spielbank würde überprüfen, dass sie in keinem Casino gesperrt sind, ehe sie den Web-Zugang freischaltet. Zudem könnten die Spieler sich selber sperren lassen oder eine Höchstsumme für ihren Einsatz festlegen, die sie an diesem Tag dann nicht überschreiten können.

Diese Maßnahmen müssen die Spieler aber selber ergreifen. Suchtfachleute hingegen fordern Kontrollmechanismen, mit deren Hilfe auch die Spielbank oder besser eine unabhängige Fachkommission das krankhafte „pathologische Spielen“ nachvollziehen und an die gefährdeten Kunden herantreten kann. Laut Wulferding entwickeln amerikanische Software-Anbieter ein Computerprogramm, um auffälliges Spielverhalten aufzudecken. Aus datenschutzrechtlichen Aspekten aber dürfe das in Deutschland nicht angewandt werden. „Die Kunden, die kein Problem mit dem Roulette haben, sind natürlich gegen ein Spielerprofil.“

Gisela Alberti nennt Glückspiel die „überflüssigste“ Sucht. Die es nicht geben müsste, wenn der Staat nicht an den Lizenzen verdienen wollte. Die Spielbank aber ist Hamburgs größter Steuerzahler, allein im Jahr 2000 habe die Stadt durch sie über 105 Millionen Mark eingenommen.

Auch die Bürgerschaftsfraktionen von GAL und SPD warnen vor den Gefahren. Sie wollen gegen die Lizenz Klage beim Verfassungsgericht einreichen, weil sie das Online-Roulette für nicht vereinbar halten mit dem Spielbankgesetz. Um zumindest Schutzmechanismen zu diskutieren, hatte der Gesundheitsausschuss Ende August eine Expertenanhörung durchgeführt. Die muss noch ausgewertet werden. Das Gremium hat das Thema für den 31. Oktober auf die Tagesordnung gesetzt. Dann aber wird die Online-Spielbank schon drei Tage im Betrieb sein. Finanzsenator Wolfgang Peiner (CDU) wird heute die erste Kugel in den Kessel zu werfen.

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