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Verunglimpfung des Türkentums?

Der Verein „Die Brücke“ berät Deutsche, die in der Türkei leben und dort arbeiten – und wurde fast zum Staatsfeind. Ein zorniger Leserbrief einer Deutschen, die sich über Machos und Machenschaften mokierte, wurde Thema eines Rechtsstreits

Für die Damen vom Brücke-Verein ist die Klage ein Schlag ins Gesicht „Das Kleinhirn versehentlich zwischen die Beine geraten“

von ALKE WIERTH

Wer heute aus der Türkei nach Deutschland immigriert, tut das überwiegend im Rahmen von Familienzusammenführung: als Ehepartner deutscher oder türkischer Staatsbürger, die bereits in der Bundesrepublik leben. Für diese so genannten Heiratsmigranten – darunter sind zirka zweieinhalb mal so viele Frauen wie Männer – muss der Umzug von der Türkei nach Deutschland keine komplette Änderung der bisherigen Lebensgewohnheiten bedeuten. Mehr, als manchen von ihnen (und Teilen der deutschen Mehrheitsgesellschaft) lieb ist, bleiben sie dem türkischen Leben verhaftet: in Sprache, Alltagsgewohnheiten und Lebensstil, im familiären und sozialen Umfeld. In vielen großen und kleineren deutschen Städten können türkische Einwanderer ein Leben verbringen, ohne Deutsch können zu müssen oder Kontakt zu Deutschen zu haben. Türkische Geschäfte, türkische Ärzte und Krankenschwestern sowie Beratungsstellen mit türkischsprachigem Personal machen das möglich.

Auch wer den umgekehrten Weg geht, wer als Deutsche(r) in die Türkei einwandert, tut das häufig der Liebe wegen: Bei einem großen Teil der deutschen Staatsbürger, die sich dauerhaft in der Türkei niederlassen, handelt es sich ebenfalls um Heiratsmigranten, und auch hier sind die Frauen weit in der Mehrzahl. Anders als viele der DiplomatInnen, LehrerInnen oder Geschäftsleute, die meist nur für befristete Zeit in der Türkei (und häufig unter sich) bleiben, integrieren sie sich in die türkische Gesellschaft – durch ihre Familienverbindungen, durch in der Türkei aufwachsende Kinder, teils auch durch Berufstätigkeit – was aber nicht immer ganz einfach ist: Eine Arbeitserlaubnis zu erhalten, macht auch die Türkei ihren Einwanderern nicht leicht.

Viele von ihnen landen aus solchen Gründen früher oder später beim Verein „Die Brücke – Köprü“, dem „Deutschen Kultur- und Wohltätigkeitsverein“ in der Türkei. Vor gut zehn Jahren in Istanbul gegründet, hat die „Brücke“ heute Mitglieder in der ganzen Türkei. In der Vereinsarbeit aktiv sind überwiegend deutsche Ehefrauen türkischer Männer, die langfristig in dem Land bleiben wollen.

Eine solche ist auch die Gründerin der „Brücke“: Uschi Akin, seit fünfunddreißig Jahren in der Türkei. Sie hat einiges miterlebt: zwei Militärputsche, diverse Wirtschaftskrisen, Erdbeben geophysikalischer und politischer Art. Den gewohnten westeuropäischen Lebensstil einfach in die Türkei zu transferieren, das war in diesen Zeiten nicht möglich.

Diejenigen, die heute kommen, haben es da leichter. Die monatliche Mitgliederzeitschrift der Brücke informiert nicht nur über das türkische Ausländerrecht oder Adressen deutschsprachiger Ärzte, sondern auch über die Termine des „Abendessens der berufstätigen Frauen“ sowie verschiedener Kaffeekränzchen, Kegel- oder Krabbelgruppen. Beim Bäcker eines Fünfsternehotels gibt es am Mittwoch deutsches Brot, und Schweinefleisch liefert der Metzger Schütte (der trotz seines Namens kein Deutscher ist) – all das erfährt man im Brücke-Brief. Und ein nicht kleiner Teil der Mitglieder kann sich solche Luxusprodukte auch leisten – sie gehören zur Istanbuler Oberschicht, deren Lebensstil sich immer mehr an den westeuropäischer Großstädte anglich.

Beim jährlichen Treffen der Brücke-Mitglieder in einem der schicksten Istanbuler Hotels ist man nicht in schlechter Gesellschaft. Elegante Kostüme, kunstvolle Frisuren, viel Schmuck und viel perfektes Make-up bestimmen das Bild. Das ist nicht die Eitelkeit reicher Ausländerinnen, sondern Anpassung an den Istanbuler Stil.

Uschi Akin, seit dessen Gründung auch Vorsitzende dieses ebenso eleganten wie nützlichen Vereins, weiß selbst nicht mehr, welcher Teufel sie ritt, als sie sich vor Monaten spontan entschloss, einen ziemlich zornigen Leserinnenbrief in der Mitgliederzeitschrift der Brücke zu veröffentlichen. Dass bei der Erschaffung manch türkischen Machos „das Kleinhirn versehentlich zwischen die Beine geraten“ sei, dass Ausländer zwar als „wandelnde Geldautomaten“, nicht aber als mündige Mitbürger willkommen seien, schrieb da eine Leserin und wagte sogar, ein bekanntes Zitat aufs Korn zu nehmen: „Wie glücklich bin ich, ein Türke zu sein.“ Hintergrund des erbosten Schreibens war eine Auseinandersetzung in Alanya zwischen dort ansässigen Deutschen und einigen örtlichen Lokalpolitikern. Die Deutschen sahen sich von ihnen bei der Durchsetzung ihrer Interessen, unter anderem der Suche nach Räumen für christliche Gottesdienste, diskriminiert. Ihnen war zu diesem Zweck eine außerhalb der Stadt liegende, jahrhundertealte und quasi nur noch aus Grundmauern bestehende Kirchenruine angeboten worden.

Die Autorin des Schreibens, eine sechzigjährige Deutsche, lebt selbst seit vielen Jahren unbehelligt und unauffällig mit ihrem türkischen Partner in der Türkei. Nach der Veröffentlichung ihres Briefes wurde sie eine Bekanntheit: ihr Lebenswandel, ihre Beziehung zu ihrem (wesentlich jüngeren) Partner wurden öffentliches Diskussionsthema. Tageszeitungen berichteten; in Fernsehshows musste sie sich für ihr Schreiben entschuldigen. Heute möchte sie sich zu dem Thema am liebsten gar nicht mehr äußern. Sie ist froh, dass der Trubel um ihre Person vorbei ist und ihr Partner zu ihr gehalten hat. Für die Vorstandsmitglieder des Vereins Brücke ist die Geschichte aber noch lange nicht erledigt. Ihnen flatterte kurz nach Erscheinen der Mitgliederzeitschrift mit dem bösen Brief eine Klage ins Haus.

Der selbst aus Deutschland reemigrierte Vizebürgermeister von Alanya, gleichzeitig örtlicher Vorsitzender der Organisation Hür-Türk, einer politisch konservativen Organisation, die in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten mit der CDU zusammenarbeitet, hatte wegen des Leserbriefes Anzeige erstattet. Nicht nur der „Verbreitung illegalen Schriftguts“, sondern gar der „Verunglimpfung des Türkentums“ sollten die Brücke-Vorstandsmitglieder sich schuldig gemacht haben – eines Vergehens, das mit mehreren Jahren Gefängnis bestraft werden kann.

Mehmet Köksal, Anwalt der Brücke und selbst Mitglied des Vereinsvorstands, hat mittlerweile immerhin eine mündliche Zusage, dass dieser Teil der Klage nicht zugelassen wird: nicht etwa weil das beklagte Schreiben als Leserbrief kenntlich gemacht worden war und somit erkennbar nicht die Ansicht der Redaktion wiedergab, sondern wegen eines Verfahrensfehlers. Die Verhandlung über den anderen, den presserechtlichen, Teil der Klage, steht dem Vorstand der Brücke noch bevor. Geklärt werden muss, ob das schülerzeitungsähnliche Heftchen, das monatlich mit der Post ausschließlich an Mitglieder verteilt wird, dem strengen türkischen Presserecht untersteht.

Warum der Fall überhaupt so viel Aufsehen erregt hat, kann Rechtsanwalt Köksal nur vermuten. Dass ein Zusammenhang besteht zu dem Wirbel um deutsche Stiftungen, denen in der Türkei kürzlich unter anderem Spionagetätigkeit und „Volksverhetzung“ vorgeworfen wurde, liegt nahe.

Für die Frauen vom Brücke-Verein ist die Klage ein Schlag ins Gesicht: Sie haben ihre Arbeit immer als vermittelnd, verbindend, eben als Brückenschlag verstanden. Als von Ausländern gegründetem Verein sind der Brücke politische Tätigkeiten verboten, mit karitativen und kulturellen Aktivitäten versuchte der Verein sich in die türkische Gesellschaft einzubringen. Immer wieder wurden Brücke-Mitglieder auch auf Tagungen, Podiumsdiskussionen und von Medien eingeladen, um sich über die Situation der in der Türkei lebenden Deutschen zu äußern. Kritik auch etwas deutlicher zu formulieren war vor allem dem prominentesten Mitglied des Vereins erlaubt: Claudia Yilmaz, der Schwägerin des ehemaligen Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der Anap-Partei, Mesut Yilmaz. Selbstverständlich fehlte aber auch dann nie der Hinweis auf die guten Beziehungen zwischen Deutschen und Türken.

Die Rubrik „Leserbriefe“ jedenfalls hat der deutsche Kultur- und Wohltätigkeitsverein Die Brücke in seiner Mitgliederzeitschrift erst mal abgeschafft.

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