: „Was Hitler macht, ist unchristlich“
Leicht moralisierend, aber gründlich und faktenreich: Ulrich Sander ediert erste Studie im deutschsprachigen Raum über den Widerstand des 1942 in Plötzensee von der Gestapo hingerichteten Hamburgers Helmuth Hübener
Er ist eine literarische Figur in Günter Grass‘ Panorama geworden. Ein Jugendzentrum und eine Straße in Hamburg sind nach ihm benannt. Eine Gedenktafel in der Sozialbehörde soll ebenso zum Erinnern anregen. Dennoch ist das Schicksal Helmuth Hübeners im Nationalsozialismus fast vergessen. Am 27. Oktober 1942 wurde der Hamburger Verwaltungslehrling in Berlin Plötzensee hingerichtet. Der Volksgerichtshof hatte den 17-Jährigen wegen Hochverrats zum Tode verurteilt.
All dies möchte Ulrich Sander mit seiner Veröffentlichung über die Widerstandsgruppe Helmuth Hübener vergegenwärtigen. Seit 1960 befasst sich der Journalist immer wieder mit Hübener sowie mit dessen Freunden Rudolf Wobbe, Karl-Heins Schnibbe und Gerhard Düwer. Er recherchierte in Archiven nach verschollenen Dokumenten und interviewte die wenigen noch lebenden Zeitzeugen, um die erste historische Studie über die Widerstandsgruppe im deutschsprachigen Raum vorlegen zu können.
Denn während der Großteil der deutschen Bevölkerung noch vom „Endsieg“ träumte, verstörten Hübener konkrete Alltagserfahrungen: der Drill der Hitler-Jugend (HJ), die Ausgrenzung der jüdischen Mitmenschen und das Wegsehen der Erwachsenen. Statt sich in die Volksgemeinschaft einzureihen, begannen sich die Jugendlichen zwischen 16 und 18 Jahren zu widersetzen. Aus dem Gefühl heraus, dass „Hitler unchristlich handelt“, hörte Hübener heimlich die deutschsprachigen Nachrichtensendungen des BBC. Zusammen mit Schnibbe und Wobbe verfasste er aus diesen Informationen Flugblätter, in denen sie über den tatsächlichen Kriegsverlauf und Misshandlungen in der HJ berichteten und zum Widerstand aufriefen. Erst später gewann Hübener seinen Ausbildungskollegen Düwer aus der Sozialbehörde für die Verteilung der Pamphlete.
Über 60 Flugschriften konnten sie in einem halben Jahr veröffentlichen, bis sie von Heinrich Mohn denunziert wurden. Die Gestapo verhaftete sie; Hübener wurde gefoltert. Man konnte sich nicht vorstellen, dass ein 17-Jähriger ohne Hilfe von „Hintermännern“ handelte. „Seiner Standhaftigkeit verdanke ich mein Leben“, erzählt Schnibbe, „er nahm alles auf sich“. Der Volksgerichtshof verurteilte dann auch nur Hübener zum Tode. Die Freunde erhielten langjährige Haftstrafen. „Ich bin jetzt dran, aber ihr kommt auch noch dran“, sagte Hübener nach dem Urteil. Er irrte sich: Die Richter wurden nie belangt. Den Denunzianten sprach der Bundesgerichtshof 1953 frei, da er nach geltendem Recht gehandelt habe. Neben der Beschreibung der Aktivitäten der Gruppe dokumentiert Sander die Flugschriften, Verhör- und Gerichtsprotokolle. Alleine der etwas moralische Tenor des Textes stört ein wenig.
ANDREAS SPEIT
Ulrich Sander: Jugendwiderstand im Krieg. Die Helmuth-Hübener-Gruppe 1941/1942, Pahl-Rugensten, 2002, 208 S., 14.90 Euro
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