: „Die Droge hat mich poröser gemacht“
Uwe ist vor zehn Jahren für den Entzug aus Westfalen nach Berlin gekommen. Heute kümmert sich der Sozialarbeiter selbst um Abhängige. Sucht ist für ihn noch immer eine „schwierige Frage!“. Den Kick sucht er inzwischen im Sport
Sozialarbeiter wie ihn gibt es nicht so oft, trotz seiner harten Vergangenheit. Oder gerade deswegen? Sein Wissen bringt er nicht von der Uni mit, sondern von der Straße: Uwe, der sich im Kontaktladen „Linie 8“ in der Neuköllner Hermannstraße um Süchtige kümmert, war selbst lange heroinabhängig.
Groß und schlank steht er an der Eingangstür und wartet auf den Besuch. 41 Jahre alt ist er, seit über 10 Jahren ist er clean und hat sein Leben neu aufgebaut. 1992 kam er aus Westfalen nach Berlin. Therapie wollte er machen. Dachte, nach dem Drogentod eines Bekannten schulde er sich das. Danach hat er Erzieher gelernt, erziehen will er aber nicht. Der Begriff schmeckt ihm nicht, weckt Erinnerungen an eine harte Kindheit.
Ein Vorbild möchte er sein, den anderen Süchtigen zeigen, dass man dem Kreislauf der Sucht entkommen kann. Die Suche nach neuen Perspektiven bestimmt sein Leben. Denn Aussichten „hatte ich früher nicht“. Er sagt das ohne Bedauern und Selbstmitleid, „es war eben so“. Sein Job bringt ihn zwar immer wieder in die Nähe der Droge, aber er hat gelernt, damit umzugehen. Bis heute ist er nicht rückfällig geworden. Als Ersatz für den gefährlichen Drogenkick sucht er nach Highlights, steckt viel Energie in Sport. Den letzten Berlin-Marathon hat Uwe mitgemacht und bis zum Ende durchgehalten. In Menschenmassen aufzugehen ist für ihn eine paradoxe Erfahrung. „Irgendwie fühle ich mich in der Masse geborgen und im Mittelpunkt stehend.“ Aber gleichzeitig stößt ihn das ab. Seine Individualität zeigt sich auch in den kunstvollen Tätowierungen, die beide Arme bedecken; sie heben ihn aus der Masse heraus, gleichzeitig fühlt er sich aber auch entfremdet.
Sucht ist für ihn noch immer eine „schwierige Frage!“. Dem eigenen Selbst zu entgehen, erst jetzt lernt er sich in all seinen Facetten kennen. Vielleicht hat ihn die Droge etwas poröser gemacht, der Ausstieg und die Bewältigung damit verbundener Schwierigkeiten hatten auch eine positive Wirkung, brachten eine Steigerung der Sensibilität gegenüber sozial Wehrlosen mit sich. „Auch sie haben ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben.“ ROBERT MEYER
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