: Viel Routine
„Zugriff“: Wilfried Zoppa und Wolfgang Schüler geben Einblicke in den Arbeitsalltag deutscher Zielfahnder
Ende September 2002 konnte die Polizei in Berlin den 28-jährigen Semsetdin Ö. festnehmen. Er hatte am 19. Juli in einem türkischen Vereinslokal im Stadtteil Wedding zwei Landsleute erschossen. Am gleichen Tag wurde in Amsterdam der 24-jährige Fikret C. von einem niederländischen Einsatzkommando festgenommen. Er soll am 3. Juni an einer Schießerei in Berlin beteiligt gewesen sein, bei der zwei Männer schwer verletzt wurden. Beide Zugriffe gingen auf die erfolgreiche Ermittlungsarbeit von Berliner Zielfahndern zurück.
„Zugriff“ lautet der Buchtitel des pensionierten Polizisten Wilfried Zoppa und des Rechtsanwalts Wolfgang Schüler. Während seiner Dienstzeit war der frühere Kriminalhauptkommissar Zoppa selbst jahrelang in der Zielfahndung der Berliner Kriminalpolizei tätig. Dahinter verbirgt sich die gezielte, intensive Fahndung nach einem kleinen Kreis von Kriminellen, der als besonders gefährlich gilt. Den Zielfahndungskommandos wird dabei die Suche nach einzelnen gesuchten Personen übertragen. Erst mit der Festnahme endet ihr Auftrag. Der größte Teil der beschriebenen Fälle stammt aus Zoppas ehemaliger Praxis bei der Personenfahndung der Kripo. Ausgerüstet mit solchem Hintergrundwissen, liefert Zoppa einen überzeugenden Einblick in die Ermittlungstätigkeit der Kriminalisten.
Das meiste dabei ist Routine: Computerabfrage, sammeln aller sonst noch erreichbaren Informationen, etwa bei Behörden, in Gefängnissen oder Nervenheilanstalten, Zeugenbefragungen, Aktenstudium. Gelegentlich allerdings muss auch Intuition die polizeiliche Berufserfahrung unterstützen. Beispielsweise um aus der Codierung „Gallrein St. PB 10.10/11“ auf einem Kontoauszug der Ehefrau Rückschlüsse auf den Unterschlupf eines Gesuchten zu schließen. Einer bloßen Eingebung folgend, ermittelten die Fahnder daraus eine Lehrerin in Mecklenburg-Vorpommern, die dem Flüchtigen für den Zeitraum vom 10. Oktober bis zum 31. November unwissentlich ihren leer stehenden Bungalow in der Nähe von Waren/Müritz vermietet hatte.
Nebenbei schildert Zoppa zudem den Weg bis zur Einrichtung eines eigenen Kommissariats für Zielfahndungen. Nach einem nur zweimonatigen Probelauf wurde diese spezialisierte Vorgehensweise, deren Ursprünge in der Terrorismusbekämpfung der 70er-Jahre wurzeln, im Juni 1995 beim Berliner Landeskriminalamt dauerhaft etabliert. Derartige Details und Hintergrundinformationen machen die Darstellungen des Buchs authentisch. Vollkommen überflüssig sind hingegen die Beschreibung der Suche nach dem Reemtsma-Entführer Thomas Drach oder der Fahndung nach dem mehrfachen Mörder Dieter Zurwehme. Da Kripopensionär Zoppa an diesen Ermittlungen selbst nicht beteiligt war, fehlen ihm hier ganz offenkundig dienstinterne Informationen. Ebenfalls unklar bleibt, weshalb die Autoren meinen, immer wieder Ausflüge ins große Weltgeschehen unternehmen zu müssen.
Richtig ärgerlich wird es jedoch immer dann, wenn Zoppa und Schüler ihre Ansichten über die Justiz, zur deutschen Drogenpolitik, zu Knast oder der psychiatrischen Unterbringung von gestörten Straftätern verbreiten. Dass sich ein Polizist auch im Ruhestand noch darüber ärgert, dass Nervenkliniken und Gefängnisse nicht so sicher sein können, dass Ausbrüche unmöglich sind, ist noch nachvollziehbar. Daraus jedoch pauschal unhaltbare Zustände und Unfähigkeit oder Desinteresse von Ärzten und Justizbeamten zu diagnostizieren, ist nichts weiter als dümmliche Stammtischmanier.
OTTO DIEDRICHS
Wilfried Zoppa, Wolfgang Schüler: „Zugriff. Im Visier der Fahnder“. 221 S., Militzke Verlag, Leipzig 2002, 14,80 €
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen