: Vermisst wird ein Lachsack
Keine Feier ohne Kohl: Im Kronprinzenpalais zeigte sich das Deutsche Historische Museum zufrieden mit der eigenen Leistung und dem prominenten Standort
Die Begegnung mit Geschichte kann verunsichernd sein, aber auch sehr beruhigend. Eine Mischung aus beiden Möglichkeiten bot am Wochenanfang das Kronprinzenpalais. Das Deutsche Historische Museum (DHM) feierte dort im Ausweichquartier sein fünfzehnjähriges Bestehen. Gegenüber, im Zeughaus, dem eigentlichen Domizil, wird bis 2003 renoviert.
Von einer Videoleinwand im Foyer des Palais tönte zum feierlichen Anlass eine gepensterhafte Endlosschleife: Bundeskanzler Helmut Kohl und Berlins Bürgermeister Eberhard Diepgen reden im Reichstag über diese unsere Geschichte – das war im Oktober 1987 anlässlich der DHM-Gründung. Die beiden Herren fristen ihr Dasein nun als Konserven im Filmarchiv des DHM. So haben sie in den Momenten der Euphorie gut vorgesorgt für den eigenen Nachruhm.
Kaum gegründet, stand das Museum im turbulenten Wendejahr 1989 plötzlich auf der Kippe. Die Mauer war weg, und alle Karten mussten neu gemischt werden. Dabei hatte man bereits den Grundstein für einen Museumsbau im Spreebogen gelegt, ungefähr dort, wo jetzt das Kanzleramt steht. Schließlich landete das ambitionierte Projekt jedoch im alten Zeughaus Unter den Linden. Zuletzt hatte in dem Barockbau das offiziöse DDR-Museum für deutsche Geschichte residiert. In einem der ersten Gesamtberliner Vereinigungs-Kraftakte wurden West-Projekt und Ost-Altlast dann zusammengelegt. Der Grundstein aus dem Spreebogen ist mittlerweile Teil eines ständig gewachsenen Sammlungsbestandes, der die deutsche Historie von mittelalterlichen Rüstungen bis zum Plaste-Trabbi dokumentiert.
Die Entstehung des Museums mitten in die Geburtswehen der Berliner Republik ist insbesondere mit der Karriere von Christoph Stölzl verbunden. Der inzwischen vom Ausstellungsmacher zum Berufspolitiker mutierte Gründungsdirektor skizzierte auf dem Festakt noch einmal die Grundidee einer Westberliner Kopfgeburt, die irgendwann in den Achtzigerjahren am Lietzensee auf Restaurantservietten gekritzelt wurde: Aufklärung und Verständigung über deutsche und europäische Geschichte. Lange habe man sich dann allein über den Namen des neuen Museums den Kopf zerbrochen. Das Wort „Nation“ konnte damals auf keinen Fall mit im Titel stehen, ohne den Verdacht zu erregen, ein ganz bestimmtes Geschichtsbild zementieren zu wollen: nationalistisch, preußisch, zentralistisch. Stölzl erinnerte an Christian Ströbele, der mit schwarzer Fahne um den Bauplatz am Spreebogen zog: „Das ist die Berliner Gruft, Gruft, Gruft …“ Und die Eröffnungsveranstaltung mit einem Lachsack störte.
Doch auch von den Historikern und Didaktikern wurde man nicht so richtig ernst genommen: Die komplexe deutsche Geschichte könne man doch gar nicht so einfach ausstellen, hieß es. Die DDR-Geschichte als unterhaltsame Anekdote unter den Teppich zu kehren, lautete ein anderer Anfangsverdacht, der allmählich verblasst.
Zum Konzept wird auch in Zukunft die Kombination aus Dauerausstellung zur eigentlichen Nationalgeschichte und Wechselausstellungen zu übergreifenden Themen gehören. Der umfangreiche Sammlungsbestand des DHM ermöglicht es, den Besuchern Geschichte am Objekt begreifbar zu machen. Stölzl lobte das Konzept als „Widerstandsnest gegen Popkultur und Infotainment“.
Dabei ist die wohl erfolgreichste Waffe gegen den Zeitgeist der RTL 2-Generation die formidable Lage mitten im historischen Zentrum: Besucherumfragen zeigen, dass die meisten Gäste Laufkundschaft sind und stante pede ihre Liebe zur Geschichte entdecken, wenn sie gerade vor der Fassade stehen. Zusammen mit dem von Stararchitekt I. M. Pei entworfenen Anbau wird das DHM im Zeughaus ab 2003 den neugierigen Passanten historische Erkenntnisse auf insgesamt 7.500 Quadratmeter Ausstellungsfläche bieten. Die natürlich auch bespielt werden müssen – trotz knapper Kassen. Der Vorsitzende des DHM-Aufsichtsrates, Knut Nevermann, orakelte auf der Geburtstagsfeier bereits, man solle den Tag nicht vor dem Abend loben. Tatsächlich ist das renommierte Haus ganz schön in die Bredouille gekommen, die Finanzierungslücken für die nächsten Jahre gehen in die Millionen. Konnte der Stölzl-Nachfolger Hans Ottomeyer noch kurz nach seinem Amtsantritt mal eben so auf einer Versteigerung 1,8 Millionen Mark für einen frühneuzeitlichen Kürbispokal hinlegen, so kann der leidenschaftliche Sammler nun höchstens noch die Bilder in Auktionskatalogen betrachten. Schade eigentlich. Denn auch Ströbeles Lachsack harrt immer noch des Ankaufs.
ANSGAR WARNER
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