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Die Grenzsängerin

„Eine puristische Idee ethnischer Musik interessiert mich nicht“, sagt Lila Downs, die in Oaxaca genauso zu Hause ist wie in Minneapolis. Dementsprechend ist ihr Repertoire ein Mix: aus Blues und Boleros, Jazz, Oper und Gospel, Corridas und Cumbias

Beeindruckend, wie Downs die Klänge mit den Händen in der Luft moduliert

von ANNE HUFFSCHMID

Unter einer Agave, mit ihren wuchtigen Schwertblättern die Königin der Bäume unter dem Himmel Mexikos, liegt eine Nabelschnur begraben. Hinter ihrem Haus in der Sierra Mixteca, den Bergen der Südprovinz Oaxaca, hat eine alte Indianerin sie verscharrt. Damit die Enkelin immer wieder komme.

Die urmexikanische Herkunft sieht man Lila Downs auf den ersten Blick an. Oberflächlich betrachtet ähnelt sie ein wenig der berühmtesten aller Mexikanerinnen, und als „singende Frida Kahlo“ wurde sie zuweilen schon bezeichnet: Das markante Gesicht ist von strengen Zöpfen gerahmt, der Leib in knallbunte Stoffe gewickelt, Hals und Finger üppig mit Silber und Steinen geschmückt. Doch sie ist koketter als die leidende Kahlo: Der feinbestickte huipil, eine Art indianisches Leibchen, lässt den Bauchnabel frei. Dass die neomexikanische Sängerin auch über Familienbande in die benachbarte USA verfügt, wird zunächst nur aus ihrem Nachnamen ersichtlich. Lila Downs aber ist tatsächlich auf beiden Seiten der Grenze, im Norden wie im Süden, zu Hause.

In ihrer kleinen Wohnung in Coyacán, dem Boheme- und Schlenderviertel im Süden von Mexiko-Stadt, empfängt Lila Downs ihre Besucher schon am Vormittag im schillernden Bühnenlook, in Gelb und Blau und Rot und Purpur. Ihr Haus ist keine glamouröse Residenz, eher ziert es im Hinterhof ein sanftes Hippieambiente. Draußen lehnt einsam eine Agave am gelben Plastikzaun, drinnen hängen die Wänden voll mit huipiles, bunten Stoffen und hölzernen Masken.

Die Sierra Mixteca, hebt Lila Downs an, ist eine der Gegenden Mexikos, die gen Norden hin ausbluten. Jahr für Jahr machen sich junge Männer und Frauen auf den Weg ins Unbekannte, klettern über Zäune und durchqueren die Wüste, um dahin zu gelangen, wo sie für die Gringos Erdbeeren ernten und Häuser putzen dürfen, für eine Hand voll Dollars. Zurück in dem trockenen Hochland bleiben ihre Landsleute, die Mixtecos, das Regenvolk, neben den Zapoteken die zweite große Indiokultur der Oaxaca-Region. Nicht fröhlich seien diese, eher schwermütig und „voller Scham“, misstrauisch und melancholisch. „Ständig kämpfen wir gegen die innere Traurigkeit“, sagt Lila Downs. Wie zum Trotz gibt es die vielen Farben und Feste. Auch gegen die Gewissheit, dass der Tod überall lauert.

In einem dieser kleinen Bergdörfer wurde vor über 60 Jahren Lila Downs’ Mutter Anita geboren. Mit 14 sollte das Mädchen zwangsverheiratet werden, doch es floh in die Hauptstadt, ohne ein Wort Spanisch zu können, wild entschlossen, eigene Wege zu gehen. Als Kindermädchen und Putzfrau schlug sie sich durch und tingelte als Sängerin durch die Bars der werdenden Metropole. In einer dieser Clubs traf sie Lila Downs’ späteren Vater, einen 20 Jahre älteren Weltenbummler und Biologen aus Minneapolis mit einem Faible für Wildenten und den Kommunismus. Keiner konnte anfangs des anderen Sprache, doch die Liebe half, alle Hindernisse zu überbrücken: Erst zog das Paar gemeinsam nach Minnesota, dann in das mexikanische Heimatdorf der Mutter. Auf Lila Downs’ Tischchen steht ein silber gerahmtes Schwarzweißfoto: ein Mann mit Nickelbrille, schütterem Haar und munterem Blick, von hinten umarmt ihn eine bildschöne Dunkelhäutige im Sechzigerjahrelook, mit toupierter Dauerwelle und gepunktetem Kleid.

Typisch war nichts an ihrer Familie. Und so hat auch die mixtekische Mutter Lila Downs „nie als typisch mexikanisches Mädchen erzogen“, ihrer Tochter stattdessen einen freien Geist und Antibabypillen mit auf den Weg gegeben. Schon als kleines Mädchen sang Lila Downs auf Festen mit lokalen Mariachi-Musikern, nahm Gesangsunterricht in Los Angeles und studierte später in Minnesota Operngesang. Doch von klein auf hatte Lila Downs den verächtlichen Blick auf alles Indigene verspürt. „Als mein weißer Vater noch lebte, haben die Leute mich besser behandelt“, erinnert sie sich.

Als Halbwüchsige färbte sie sich die Haare rot und wollte nichts wissen von ihrer indianischen Seite: „Das war mir genauso peinlich wie der ganzen mestizischen Gesellschaft Mexikos.“ Der Vater starb, als Lila Downs 16 war, und auch in der indianischen Heimat wurden Tochter und Mutter nach dem Tod des kauzigen Gringos misstrauisch beäugt: „Erst mal hat niemand mit uns geredet.“

Es folgte eine unstete Jugend mit Gelegenheitsjobs und Drogen und dem Rückzug in eine Landkommune. Und schließlich, ganz allmählich, die Versöhnung mit ihrem indianischen Erbe. Lila Downs studierte Anthropologie und beschäftigte sich mit den Textilkünsten Oaxacas. „Ich ging in die Berge, lernte zu weben und fand meine indigenen Anteile wieder“, fasst Lila Downs ihre Identitätssuche in knappen Worten zusammen. An der Wand hängt ihre Diplomarbeit: ein Tuch aus unzähligen Bändern in allen erdenklichen Rottönen und Mustern, jedes davon verschieden.

Kurz nach dem Abschluss ihres Studiums lernte Lila den New Yorker Saxofonisten Paul Cohen kennen, ihren heutigen Lebensgefährten, und mit ihm die Welt des Jazz. Die beiden spielten zunächst auf der Straße, später dann in den Clubs von Philadelphia und Oaxaca. Als Vorstand eines heute fünfköpfigen Musikerensembles trat Lila Downs auf kleineren und immer größeren Bühnen in Mexiko-Stadt auf, seit ein paar Jahren tourt sie mit ihrer Band nun auch durch Europa, die USA und Lateinamerika. Ihr Ruf ist ihr vorausgeeilt, mittlerweile drei Alben haben ihn begründet.

Die Sierra Mixteca ist eine der Gegenden Mexikos, die nach Norden hin ausbluten

Beeindruckend ist sie aber vor allem auf der Bühne. Wenn sie die Klänge mit den Händen in der Luft moduliert und ihr ganzer Körper vibriert, mal hingebungsvoll schluchzend, mal mit kehlig verfremdeter Kinderstimme, dann wirkt sie geerdet und doch entrückt. Ihrem eigensinigen Pathos geht jede Ironie ab, aber es fehlt ihm nicht an Fröhlichkeit. „Du stinkst nach Stinktier“, heißt es in einer munteren Maya-Cumbia, die sie breitbeinig und mit umgeschnallter Trommel vorträgt. Momente später stimmt sie eine Hymne von Woody Guthrie auf die schuftenden Wanderarbeiter aus dem Süden an, und nach einer beschwingten Gershwin-Ballade kommt ihr traurigstes Stück: „La Martiniada“, der Abschied einer sterbenden Mutter von ihrem Kind. Ein schwarzer Schal umfließt dabei ihren Körper, aber in ihrem dunkelwarme Trauergesang liegt auch etwas Tröstliches.

Im Alltag der lärmenden Metropole Mexiko-Stadt, wo Lila Downs seit einiger Zeit wohnt, fühlt sie sich noch immer ein wenig fremd. Immer mal wieder stößt sie hier mit ihren huipiles und ihrem akzentfreien Englisch auf Befremden. Mehr zu Hause fühlt sie sich im indianischen Oaxaca und auch in ihrer anderen Heimat, dem protestantischen Minneapolis. Beide hätten viel gemein, behauptet sie – auch im Norden habe sie Respekt, Solidarität und Gemeinschaftsinn gefunden. So sieht sich die 34-Jährige als Übersetzerin zwischen Nord- und Südamerika. „Jede Kultur hat so viele Töne wie die Haut“, sagt sie.

So reicht ihr Repertoire einmal quer durch den weiten Kontinent, ein Mix aus Blues und Boleros, Jazz, Oper und Gospel, aus Corridos und Cumbias, prähispanischen Instrumenten und altindianischen Mythen und Melodien, eine filigrane Collage aus Klassikern und Eigenkompositionen. „Eine puristische Idee ethnischer Musik interessiert mich nicht“, sagt sie. „Meine Großmutter hat mich gelehrt, dass alles, was man im Leben tut, heilig ist.“

Auch die Mutter ist nun, nach anfänglichem Zögern, stolz auf die Mixteco-Songs ihrer Tochter („Wir wollen der Welt zeigen, wie wir Indígenas sind!“). Was die 63 Jahre alte Geschäftsfrau aber nicht hindert, zugleich eine begeisterte Anhängerin von Präsident Bush zu sein. Lila Downs verdreht die Augen und grinst. So dicht liegt alles manchmal beieinander, im US-amerikanisch-mexikanischen Verhältnis.

Alben: „La Sandunga“ (1997), „Arbol de la vida/Tree of Life“ (1999, Narada/ Virgin), „La Linea/Border“ (2001, Narada). Am 2. 11. tritt Lila Downs im Berliner Haus der Kulturen der Welt auf.

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