Für immer Schwarz

Mit Red Bull und SM: Auf „Depeche Mode“-Partys wird unverdrossen weitergetanzt. Mit ungebrochener Euphorie, aber ohne das alte Glücksversprechen. Ein Lokaltermin

War das schön, damals, als weltschmerzgeplagter Teenager: Der schmelzende Gesang von Dave Gahan über kühlen Synthie-Sounds, schwärmerische Melodien und große Emotionen – ein Soundtrack, wie geschaffen für die Gefühlsverwirrungen pubertierender Heranwachsender. Zu „Black Celebration“ konnte man sich ein bisschen diabolisch fühlen. Zu „A Question of Lust“ über die gefährlichen Verheißungen der Sexualität sinnieren. Zu „Never Let Me Down Again“ die Machtgeflechte zwischenmenschlicher Beziehungen ausloten. Großes Kino.

Es macht ein bisschen stutzig, dass auch im Jahr 2002 noch Depeche-Mode-Partys veranstaltet werden. Hat die heutige Jugend keine zeitgemäßeren Weltschmerz-Bands, oder sind diese Partys bevölkert von Dreißigjährigen, die ihren alten Helden die Treue halten? Ein seltsames Phänomen, das Anfang der 90er Einzug gehalten hat und schon damals Rätsel aufgab: Kann man wirklich einen ganzen Abend mit der Musik einer einzigen Band bestreiten? Gibt es Dave-Gahan-Look-Alike-Contests und Depeche-Mode-Karaoke?

„Berlins größte Depeche Mode Party“, weisen orangefarbene Plakate überall in der Stadt den Weg in die Arena in Treptow. Trotz unwirtlichen Wetters ist die große Halle voll; dramatische Lasereffekte und der großzügige Einsatz von Kunstnebel sorgen für leicht düsteres Großraumdisko-Ambiente. Aus den Boxen schallt „Strange Love“, die ganze Längsseite des Raums ist von einer Videowand bedeckt, auf der Konzertauftritte und Videos der Band flimmern. Dunkle Grüppchen stehen an der Bar oder am Rande der riesigen schimmernden Bodenfläche, die später die Tanzfläche werden soll.

Schwarz ist immer noch die Farbe von Depeche Mode, gewürzt mit Zutaten aus der SM- Szene wie Lack, Leder und Ketten. Auf dem Damenklo begegnen sich 19-jährige Grufti-Mädchen im strapsigen Düster-Outfit und dauergewellte Brandenburger Blondinen in lackledernen Fetischkombinationen die aussehen wie vom Orion-Versand. So hatten das Depeche Mode damals bestimmt nicht gemeint.

„Condemnation“, schmachtet Dave derweil in die Halle, während sich die Herren an der Bar mit Wodka-Red-Bull in Tanzstimmung bringen. Die meisten sehen weniger nach verruchter Verdammnis aus, eher nach Tresenhockern. Eine Schwade Kunstnebel hüllt sie ein.

Jetzt schallt die Liveversion des Depeche-Mode-Hits „Behind The Wheel“ leicht verzerrt aus den Boxen. Dazu sieht man Martin Gore, wie er sich auf der Leinwand lasziv im Lederdress räkelt. Heute, nach 22 Jahren Depeche Mode, wirkt das nicht mehr gefährlich, eher süß. Androgyn prickelnden Sex-Appeal versprüht heute Placebosänger Brian Molko weitaus überzeugender, für Provokation ist der geschminkte Schock-Rocker Marilyn Manson zuständig, und Lack und Leder trägt sowieso jeder. Zum Beispiel die Leute hier. Sie haben sich warm getrunken.

„Mann, das ist soo geil!“, brüllt ein junger Kerl mit Baseball-Cap seinem Kumpel zu, der sich eher gehemmt an ein paar Tanzschritten zu „Everything Counts“ versucht. Er hatte wohl noch nicht genug Wodka-Red Bull. Quälend lange Liveversionen der „Greatest Hits“ scheppern durch die Halle, aber jetzt, wo der Alkohol wirkt, wird unverdrossen weitergetanzt. Stampf, stampf, immer der gleiche Synthie-Beat. Mit einem Mal fällt auf, dass die meisten Depeche-Mode-Songs eigentlich nicht zum Tanzen taugen. Träger Viervierteltakt, süßlicher Gesang – eigentlich eher etwas für zu Hause, wenn mans denn noch mag.

Die versammelten Fans, Teenies aus dem Umland, Gruftis, ältere Pärchen aber tanzen monoton vor sich hin und verfallen irgendwann in Ausdruckstanz mit Ganzkörperdrehung und ausgebreiteten Armen. Die Euphorie ist noch da, nach all den Jahren. Aber die verruchte Sinnlichkeit, für die Depeche Mode einmal standen, ist weg. In dieser Atmosphäre wirkt die Musik nur noch schwülstig.

Da helfen auch die vereinzelten Frauen nicht, die auf Berlins größter Depeche-Mode-Party träge ihre lackledernen Hüften zu „Strangelove“ schwingen. Nach 22 Jahren Depeche Mode ist die Verheißung dahin. Aber die Schuld der Band ist das nicht. Dave und Kollegen machen immer noch gute Musik. Nur: Die wilden und verruchten Fans hören jetzt etwas ganz anderes. Vielleicht Placebo?

NINA APIN