: off-kino Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Es gibt eine Reihe von Doppelgängern, die beim besten Willen absolut niemandem ähnlich sehen: den Erfinder des essbaren Slips, einen ziemlich senilen Admiral und eine Kuh mit achtzehn Zitzen. Da ist natürlich klar, wo man sich befindet: beim Fernsehen, genauer gesagt: in der großen Weihnachtsshow „Alles für euch“ eines italienischen Privatsenders. Und mittendrin: Amelia (Giulietta Masina) und Pippo (Marcello Mastroianni), ein ältliches Tanzpaar, das in den Vierzigerjahren Ginger Rogers und Fred Astaire imitierte und nun nach vielen Jahren noch einmal einen „großen“ Auftritt haben soll. Doch inmitten von Fernsehproduzenten und Assistenten, die sich weder für die beiden Tänzer noch überhaupt für ein Mindestmaß an Unterhaltungsqualität interessieren, haben es „Ginger & Fred“ schwer, ihre Würde zu bewahren. Federico Fellini zeigt das Fernsehen in seiner Satire als gnadenlose Freakshow, eine Welt voller Reklame und Müll, in der das Ethos der alten Varietékünstler keinen Wert mehr hat.
Aus seiner Verachtung für das Fernsehen hatte der Regisseur auch privat nie einen Hehl gemacht und war einer ersten Künstler, der sich – allerdings ohne Erfolg – gerichtlich gegen die Werbeunterbrechungen in den TV-Ausstrahlungen seiner Filme wehrte. Kurioserweise führte „Ginger & Fred“ wiederum zu einem Rechtsstreit: Ginger Rogers sah sich irgendwie in ihrer Ehre gekränkt und versuchte – ebenfalls erfolglos –, gegen den Film beziehungsweise dessen Titel eine einstweilige Verfügung zu erwirken.
Dabei hat „Ginger & Fred“ tatsächlich nur sehr wenig mit Ginger & Fred zu tun, sondern ist vor allem eine Hommage an Fellinis wichtigste Darsteller: Masina bewegt sich so traumwandlerisch und mit dem Blick eines staunenden Kindes durch die irrealen Kulissen ihres Gatten wie ehedem in „Die Nächte der Cabiria“ und „La strada“; Mastroianni gibt hingegen einmal mehr Fellinis Alter Ego, eine kuriose Synthese aus genialem Fabulierkünstler, resigniertem Rebellen und heruntergekommenem Großkotz. So wird der Film zu einer melancholischen Reise in eine von Fantasie geprägte Vergangenheit, die große Mühe hat, sich neben der sehr profanen Gegenwart zu behaupten.
„Ginger & Fred“, 2. 11. in der Urania
Schauplatzwechsel: Das amerikanische Fernsehen hatte dem Kino bereits in den Fünfzigerjahren die Zuschauer abspenstig gemacht. Deshalb lautete Hollywoods neue Devise, sich mit dem Feind zu verbünden, den man nicht schlagen konnte. Man holte sich die jungen Regisseure aus der goldenen Ära des Live-Fernsehens in die Filmstudios und erhoffte sich ordentlich frischen Wind in den bereits etwas angestaubten Kulissen.
Die Rechnung ging auf: Filmemacher wie Sidney Lumet, John Frankenheimer, Delbert Mann und Arthur Penn brachen alte Strukturen auf, warfen einen neuen Blick auf die traditionellen Genres und arbeiteten oft mit jener Improvisation, die sie vom Live-TV her kannten.
Vor allem Arthur Penn hat in seinen Filmen immer wieder von alten Legenden aus einer neuen Perspektive berichtet: Sein erster Kinofilm „The Left-Handed Gun“ erzählt die Geschichte von Billy the Kid als Psychodrama um einen Neurotiker mit einer Fixierung auf Vaterfiguren, und „Bonnie und Clyde“ verbindet den Outlaw-Mythos der Dreißigerjahre mit dem rebellischen Underground-Geist der Sixties.
Die Geschichte von „Bonnie und Clyde“ verweist auf den Ursprung von Mythen: Die beiden kleinen Ganoven stilisieren sich mit Rechtfertigungsgedichten und eigens angefertigten Fotografien zu Volkshelden und avancieren zu Medienstars. Am Ende wird sich die Verblasenheit des Gangsterpärchens rächen: Bonnie und Clyde fallen ihrer eigenen Legende zum Opfer und werden wie Staatsfeinde in einem Hinterhalt von Polizisten mit Kugeln geradezu durchsiebt. Doch die in extremer Zeitlupe gefilmte Schlusssequenz ist ein Widerspruch in sich: Jeder einzelne Schuss bringt Bonnie und Clyde der verklärenden Legende wieder ein kleines Stück näher.
„Bonnie und Clyde“, 2. 11.–6. 11. im Klick
LARS PENNING
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