Das Leben vor dem Tod

Zur „Kulturwoche Suizidalität“ des Therapie-Zentrums für Suizidgefährdete: Eine begleitende Filmreihe startet am Sonntag mit Oskar Roehlers „Die Unberührbare“

Ist „Suizidalität“ eine Krankheit? Eine Einrichtung wie das Therapie-Zentrum für Suizidgefährdete am UKE (TZS) muss es so sehen, will sie Betroffenen helfen. Andererseits wird das Phänomen durch seine Pathologisierung auch verdunkelt, was schon das ärztelateinische „Suizid“ zeigt, das den Selbstmord sprachlich verfremdet und objektiviert, als sei er dem „Patienten“ äußerlich. Dabei gehört es zum Menschen, sich zu seinem Tod zu verhalten.

Die vom TZS veranstaltete „Kulturwoche Suizidalität“ erlaubt jenen nötigen Blick über den medizinischen Tellerrand hinaus. Wobei sich das Thema in seiner ästhetischen Reflexion aber sofort wieder verkompliziert. Denn was heißt es, wenn ein Film wie Oskar Roehlers Die Unberührbare mit einem Selbstmord endet? Hier ist er nicht Sache eines heroisch existenziellen Entschlusses, sondern scheint logische Folge einer Konstellation biographischer Fluchtlinien. Insofern handelt der Film nicht vom Selbstmord, sondern vom Leben. Ex negativo. Vom Ende her aufgerollt, von den letzten Tagen der Schriftstellerin Hanna Flanders in der Zeit der Maueröffnung, nach dem realen Vorbild der Autorin Gisela Elsner.

Hanna ist eine gealterte westdeutsche Salon-Kommunistin. Der einstige literarische Jungstar ist isoliert. 1989 gerät ihr mit der DDR die Lebenslüge abhanden. Im Konsumgeifer der Ostler sieht sie nur Verrat und kauft sich aus Frust einen Dior-Mantel. Doch das hilft nicht mehr. Der Widerspruch reißt auf. Das Leiden an der Geschichte war das Leiden an sich selbst. Der Maßstab des eigenen Schreibens ist zerbrochen. Die Unberührbare stellt derart weniger die Frage nach Leben und Tod, sondern die unheimlich benachbarte nach Leben und Kunst. Oskar Roehler ist Gisela Elsners Sohn. Die Metaebenen wuchern.

Sie sind aber verankert: im grandiosen Spiel der Namensvetterin Hannelore Elsner. Es erdet auch die bisweilen konventionell tragischen Bilder Roehlers, sein cineastisches Retro-Pathos. Elsner macht Hanna in all ihren Zwängen zum Menschen. Gelegentliche Wärme ersäuft dabei regelmäßig in Trinksprüchen. Wenn mit Rainald Goetz das Prosit die einzig wahre Sprache ist, dann verzweifelt Hanna mit Grund. Unter den Bedingungen solchen Sprachverlusts verzichtet der Film auf simple Antworten. Ein Fenstersturz ins gleißende Gegenlicht. Den Aufprall hören wir nicht mehr. Jakob Hesler

So, 11 Uhr, Abaton (mit Diskussion)