: Schlipse am OSI
Beim Praxistag der Dahlemer Politologen muss sich der Daimler-Manager Kleinert den kleinen Revoluzzern stellen
Das OSI ist das geistige Zentrum der Berliner Gewaltszene. So charakterisierte einst die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) das Otto-Suhr-Institut der Freien Universität. Diese Charakterisierung der Dahlemer Politikwissenschaft stimmte zwar damals nicht. Aber sie saß. Verärgerte Peace-peace-Professoren des OSI entschlossen sich damals spontan gewalttätig zu werden – und räumten höchstpersönlich das „Geschwulst“, das illegale und subversive Studentencafé im Keller des Politikinstituts.
OSI 2002 – die P-Klasse ist auf dem Vormarsch in die Industrie. So charakterisiert inzwischen der Generalbevollmächtigte der DaimlerChrysler AG, Matthias Kleinert, die Politologenbranche. Ob diese Porträtierung stimmt, wird zu klären sein. Die Freunde des Politikinstituts wollen heute damit anfangen. Auf dem ersten Praxistag des „OSI-Clubs“ wird es allerdings nicht um die von Osianern so inbrünstig beschworene und von der FAZ so gründlich missverstandene „Gegenmacht von unten“ gehen. Im Mittelpunkt steht am einst revolutionärsten Politikinstitut Westeuropas schlicht Lohn und Brot. DaimlerChrsyler ist da, die Unternehmensberater der Prognos AG, das Außenministerium, die Berliner Senatskanzlei, die Medien sowieso, aber auch der DGB und amnesty international – allesamt versuchen sich deren Referenten der Frage zu nähern: Welche Jobs kriegen eigentlich Politikwissenschaftler, die – in der Regel – von allem Politischen nur ein bisschen was wissen, aber über alle Politikfelder profund reden können sollen?
Früher hat das OSI selbst solche Praxistage organisiert. Jetzt hat das der „OSI-Club“ übernommen. Knapp zwei Jahre alt ist der quicke Freundes- und Absolventenkreis mit dem ehemaligen FU-Sprecher Christian Walther an der Spitze, der eine Unart deutscher Akademiker vermeidet: voller Hass auf die eigene Studienzeit zurückzublicken. Und es ist eben ein Unterschied, ob ein Institut so etwas organisiert mit einem Dekan an der Spitze, der immerzu denkt, er müsste etwas gegen seine StudentInnen unternehmen, oder solche Ehemalige. Also lotst der Verein einen Daimler-Manager dorthin, wo früher die RAF-Sympathisantin Ingrid Strobl das Idol war. Herr Kleinert übernimmt den Laden aber nicht gleich und dominiert seine Kultur und die Themen. Kleinert wird wohl die Frage ertragen, wieso der renommierte Autobauer eigentlich eine firmeneigene corporate university finanziert und viel Geld für die noch reichlich ungare European School of Management and Technology (siehe oben) spendiert, seine Politologen aber so gar nicht fördert. Wo die doch genau das studieren, was der Präsident der Business-School Derek F. Abell bald im Staatsratsgebäude lehren will: leadership. CIF
Praxistag am OSI, Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft, 10–19 Uhr
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen