: Zeit fürs Wesentliche
Claudia Pechstein startet am Freitag bei den deutschen Meisterschaftenin die Saison. Ihr mediales Coming-out hat sie zuvor ausgiebig gefeiert
aus Erfurt MARKUS VÖLKER
Im neobarocken Foyer eines Erfurter Hotels wird dem Mehrakter „Zickenzoff“ eine kleine Fußnote hinzugefügt. Claudia Pechstein hat es sich gerade auf einem Fauteuil bequem gemacht, als Anni Friesinger den Raum betritt, um einzuchecken. Friesinger und Pechstein würdigen sich keines Blickes. Die eine widmet sich angestrengt dem Sitz ihres Schals, die andere stürzt sich in die Beantwortung einer belanglosen Frage. „Da gibt es welche, zu denen hat mein ein positives Verhältnis“, steht passend dazu auf Pechsteins Internetseite, „dann gibt es welche, zu denen hat man ein negatives Verhältnis. Und dann gibt es welche, zu denen hat man gar kein Verhältnis.“ Anni Friesinger, Pechsteins Widerpart im Rührstück „Zickenzoff“, gehört offenbar zur letzten Kategorie. Man kann beiden nur wünschen, dass die Wände im Hotel, das sie vor den deutschen Einzelstrecken-Meisterschaften an diesem Wochenende in Erfurt bewohnen, dick genug sind, damit es nicht wie im Olympischen Dorf in Salt Lake City zu einer Neuauflage der bunt ausgeschmückten (Geräuschterror, Halluzinationen) WG-Posse kommt.
„Das Duell hat schon eine wichtige Rolle gespielt“, sagt Pechstein, als Friesinger im Lift verschwunden ist. „Das war für den Eisschnelllauf in Deutschland förderlich, auch für die Personen Friesinger und Pechstein.“ Natürlich, es sei auch viel Unsinn geschrieben worden. Aber die Inszenierung, die anscheinend so gelungen war, dass Pechstein versichern muss, man hätte „keine Strategie verfolgt“, trug den Sport in eine breite Öffentlichkeit. Die Protagonisten wurden prominent. Eisschnelllauf rückte einer Markterhebung zufolge auf Platz drei der beliebtesten Wintersportarten. Nur Skispringen und Biathlon erregen mehr Interesse. „Ich komme mit meiner Rolle, die ich in den Medien spiele, sehr gut klar“, sagt Pechstein. Sie fühle sich sogar ausgesprochen wohl.
Nach ihren Erfolgen bei Olympia, wo sie über 3.000 und 5.000 Meter Gold holte, platzte offenbar der Knoten. „Claudi“, wie sie sich selbst nennt, hatte ihr mediales Coming-out – und das feierte sie dann auch ausgiebig. Sie schien allerorten präsent zu sein. Zeigte sich mit Kanzler Schröder und Innenminister Schily. Gab den Startschuss bei Radrennen, tanzte sich durch Bälle, saß in Jurys, die Haarschnitte begutachteten, lenkte freudestrahlend Bobby-Cars, war dabei, als Oli Kahn Vizeweltmeister wurde. Preise purzelten auf sie herab, darunter das „Goldene Rückgrat“ und der „Personality Preis“. „Das hat mir alles riesig Spaß gemacht“, sagt die 30-Jährige, „obwohl es doch viele, viele, viele Termine waren.“ Sie hat kaum irgendwo abgesagt und lieber, wenn es denn ging, den Besuch auf einer Tourismusmesse zwischen zwei Trainingseinheiten gequetscht.
Erfolg und Medienpräsenz haben sich ausgezahlt. Nach Angaben ihres Managers Ralf Grengel hat Pechstein ihre Einnahmen verdoppelt, erst gestern gab sie einen Sponsorenvertrag mit Audi bekannt, abgeschlossen über vier Jahre und angeblich dotiert mit einer Millionensumme. Das gewachsene Interesse der Sponsoren führte die Konkurrentinnen sogar in einem Streitfall mit der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG) zusammen. Im Zweck vereint erstritten Pechstein und Friesinger das Recht, ein Logo mehr auf ihrem Rennanzug in Eigenregie vermarkten zu dürfen.
Die Form habe ob des Rechtsstreits nicht gelitten, und schon gar nicht wegen des Event-Hoppings. „Das Training habe ich immer in den Vordergrund gestellt.“ Die erste 3.000-Meter-Zeit unter Wettkampfbedingungen (4:12 Minuten) war trotz eines leichten Grippeinfekts nur eine Sekunde langsamer als im Vorjahr. Sie habe das Training sowieso nicht schleifen lassen können, allein die Vorstellung, die anderen nützten ihren mangelnden Trainingseifer aus, hätte sie angestachelt. „Das ist halt bei mir so, selbst nach 14 Jahren Hochleistungssport.“ Ihr Trainer, Achim Franke, musste sie nicht erst zur Vernunft bringen, damit sie das Maß zwischen Promotion und Motivation findet. Franke: „Sie ist immer fokussiert geblieben.“
Es gehe ihr in dieser Saison „irgendwie um das i-Tüpfelchen“. Heute startet sie bei den deutschen Meisterschaften in der Gunda-Niemann-Stirnemann-Halle in Erfurt über 3.000 Meter. Danach will sie entscheiden, ob die Kraft noch reicht für die 1.500-Meter-Strecke. „Ehrgeizig bin ich immer noch, und das will ich auch bleiben“, sagt Claudia Pechstein. Bis 2006, bis zu den Olympischen Spielen in Turin, soll der Ehrgeiz reichen. Mit Hilfe von Anni Friesinger dürfte das problemlos klappen.
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