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Andocken an ein Ganzes

Arie Hartog, Kurator der Ausstellung, über Transzendenz und Moissey Kogans Rolle in der europäischen Kunstgeschichte. „Keiner hat sich zuständig gefühlt.“

Arie Hartog ist Kustos des Gerhard-Marcks-Hauses. Die Ausstellung über den kaum bekannten Bildhauer Moissey Kogan ist auch Ergebnis seiner fast zehn Jahre währenden Bergungsversuche.

taz: Ist Moissey Kogan der „große Unbekannte“ in der europäischen Bildhauerei?

Arie Hartog: Sein Werk ist nicht spektakulär. Es besteht aus vielen kleinen Arbeiten. Auch gibt es wohl kaum einen Bildhauer, der sein Werk so wenig gepflegt hat. Dabei ist sein Beitrag für die Geschichte der europäischen Bildhauerei Anfang des vorigen Jahrhunderts kaum zu unterschätzen.

Relativ unbekannt, zugleich wichtige Figur: Wie kommt das?

Seine Biografie spielt eine große Rolle. Er lebte zwar ab circa 1910 in Paris, doch gab es immer wieder Reisen und Auslandsaufenthalte. Er arbeitete irgendwo, hat dann aber seine Koffer gepackt und alles stehen lassen. Einige Arbeiten kennen wir nur, weil ein späterer Benutzer eines Ateliers zufällig auch Bildhauer war, Kogans Negativ-Formen fand und sie gegossen hat. Andere Objekte landeten auf Umwegen in Privatsammlungen. Kogan hatte sie, wie beispielsweise in Amsterdam, auf der Straße verkauft.

Im Titel der Ausstellung finden sich die beiden „großen“ Worte „jüdisch“ und „Europa“. Wie ist die Ausstellung konzipiert?

Wir haben sie mit dem Clemens-Sels-Museum in Neuss erarbeitet – es ist die erste große Retrospektive Kogans. Wir können ein Drittel seiner momentan bekannten Arbeiten zeigen. Unsere zentrale These ist: Kogan, als russisch-jüdischer Künstler nach Mittel- und Westeuropa kommend, ist viel hin und her gereist, deswegen hat sich lange Zeit niemand richtig zuständig gefühlt. Weil er Jude war, an so vielen Orten gearbeitet hat, sich also zwischen verschiedenen „nationalen Kulturen“ bewegte. Die Kunstgeschichtsschreibung funktioniert immer noch sehr entlang dieser Grenzen.

Das klingt nach so etwas wie „europäischem Künstlertum“. Wäre das ein retrospektiver Befund? Oder hat Kogan das auch so gesehen?

Er ist sicher ein Vertreter der Idee einer gesamteuropäischen Kultur, wie sie vor 1914 virulent war. Nicht zuletzt die beiden Weltkriege haben da viel verschüttet. Andererseits geht sein Gedankengebäude noch darüber hinaus. Kogan war Anhänger der Theosophie. Man muss hier aufpassen, weil man schnell ins Interpretieren gerät und zu eilige Schlüsse zieht. Aus zahlreichen Briefen, die in den letzten Jahren aufgetaucht sind, wissen wir, dass ihm daran gelegen war, sich über die Kunst zu transzendieren, also anzudocken an ein großes Ganzes. Darum die kleinen Formen? Darum die sich oft wiederholenden Motive?

Das hat sicher damit zu tun. Kogan variiert auf der Mikroebene: Gesichter, Körper, Körperhaltungen. Er würde am liebsten „im Nichts der Kunstgeschichte verschwinden“, schrieb er einmal. Da ist der „Entwicklungsdruck“ der Arbeiten nicht besonders hoch.

Dabei hat er in vielen Bereichen und mit unterschiedlichen Techniken gearbeitet. Was er kontinuierlich verfeinert hat, war die Arbeit an der Negativ-Form. Sein Thema war das Volumen von Skulpturen. Diese Neuerungen machen ihn für das Gerhard-Marcks-Haus als Bildhauermuseum sehr interessant. Auch die Wiederkehr in Form und Motivik mag theosophischer Logik entsprechen. Für uns bedeutet das aber auch, dass es nicht immer leicht ist, Kogans Arbeiten zu datieren. Interview: scho

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