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DIE FDP IST WEDER EINE VOLKS- NOCH EINE KLASSENPARTEIEnde eines Missverständnisses

Wer Erfolg hat, muss Affären nicht fürchten. Noch nie wurde ein Politiker, der auf dem Höhepunkt seiner Macht stand, durch überraschende Enthüllungen in die Knie gezwungen. Die schwarzen Konten des CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl wurden erst publik, als der einstige „Kanzler der Einheit“ seine Macht verloren hatte. Auch der nordrhein-westfälische SPD-Filz wurde erst ein Thema, nachdem die Alleinherrschaft der Genossen bei der Kommunalwahl 1999 zusammengebrochen war.

Nicht anders ist es jetzt bei der FDP. Die Krise der Partei ist keineswegs eine Folge der Affäre um Möllemann und Westerwelle. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Über die Finanzierung von Flugblättern und den Postweg in der Parteizentrale wird jetzt nur deshalb diskutiert, weil die beiden 18-Prozent-Helden die FDP sauber vor die Wand gefahren haben – und zwar schon lange vor all jenen Treffen und Versammlungen im September 2002, über die jetzt so heftig diskutiert wird.

Dabei hatte es die Partei in den späten Neunzigern durchaus geschafft, ein eigenständiges Profil aufzubauen. Auch wenn die Liberalen in der Praxis stets die Protektion ihrer mittelständischen Klientel betrieben, standen sie doch in der Theorie für ein unterscheidbares Projekt: mehr Eigenverantwortung, weniger Staat. Dieses neoliberale Programm bescherte ihnen nicht nur die heftige Ablehnung einer breiten Bevölkerungsmehrheit, sondern auch aller übrigen Bundestagsparteien. Davor jedoch muss sich eine Kleinpartei, die auf fünf bis zehn Prozent der Stimmen schielt, gar nicht fürchten. Schließlich sind auch die Grünen derzeit recht erfolgreich, obwohl ihre Ökosteuer nicht bei jedermann beliebt ist.

Dann aber kam die Krise der Union, die den Freien Demokraten bei mehreren Landtagswahlen in Folge überraschende Stimmenzuwächse bescherte. Der unverdiente Erfolg stieg den Liberalen zu Kopf. Das neue Selbstverständnis als Volkspartei war in der Tat ein „Missverständnis“, wie Parteichef Gerhardt gestern sagte. Anders als die FDP jetzt glauben macht, war es nicht das Publikum, das etwas falsch verstanden hatte. Das Missverständnis lag bei den FDP-Granden selbst.

Die glauben jetzt offenbar, sie könnten vom Konzept der populistischen „Volkspartei“ umstandslos zum Konzept der neoliberalen Profilpartei zurückkehren. Das wird nicht nur daran scheitern, dass die FDP das Vertrauen in ihre Prinzipienfestigkeit längst erschüttert hat. Sondern auch daran, dass die Wirtschaftskrise die Hoffnung in die Selbstheilungskräfte des Marktes stark geschmälert hat. Ihren Status als Fünfprozentpartei könnte die FDP jetzt tatsächlich verlieren – allerdings nach unten, nicht nach oben. RALPH BOLLMANN

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