: Gut organisierte Trotzigkeit
Der sechste Versuch in der Fremde führt endlich zum ersten Punktgewinn: Der HSV entführt nach brisanter Schlussphase einen Punkt bei Borussia Dortmund und rangiert mit zwei Punkten Abstand auf einem abstiegsnahen 13. Tabellenplatz
von FELIX MEININGHAUS
Es gibt im Fußball diesen hässlichen Vorwurf, der oftmals hervorgekramt wird, wenn eine Abfolge unzureichender Darbietungen zu bewerten ist. Dann heißt es, das Team würde gegen den Trainer spielen. Solch ein Putschversuch durch kollektive Leistungsverweigerung haben zahlreiche Journalisten auch bei den bisherigen Auswärtsbegegnungen des HSV in dieser Spielzeit vermutet. Fünfmal war er auswärts angetreten, fünfmal hatte es Niederlagen gesetzt.
Vor allem die beiden Auftritte auf Schalke und in Bielefeld waren zur Bankrotterklärung geworden. Hilflosigkeit auf dem Spielfeld, Sprachlosigkeit im Umfeld – der HSV wirkte dermaßen desolat, dass ein Trainerwechsel unumgänglich schien. Seit Samstag stellt sich die Lage für Kurt Jara ein wenig entspannter dar: Seine Spieler haben beim Deutschen Meister Borussia Dortmund dank einer couragierten Leistung ein 1:1 ertrotzt und dabei beileibe nicht den Eindruck hinterlassen, als sei es ihr Bestreben, ihren Trainer aus dem Amt zu mobben. Jara hat das mit Erleichterung registriert. Er lobte seine Mannschaft für eine „hervorragende Leistung im organisatorischen Bereich“. Auch nach dem Rückstand (Tomas Rosicky, 69. Minute) wehrte sich der HSV mit Vehemenz gegen die sechste Auswärtsschlappe und verdiente sich den Punkt redlich. Selbst wenn es erst einer aktionsgeladenen wie brisanten Schlussphase bedurfte, die den HSV dazu ermutigte in der Offensive ebenso nassforsch aufzutreten, wie zunächst nur in der Defensive.
Selbst nachdem Bernd Hollerbach in der 87. Minute einen Handelfmeter mit Höchstgeschwindigkeit über das Tor gedroschen hatte, blieben die zuletzt so arg gebeutelten Hamburger am Drücker. Kurz vor Schluss markierte der eingewechselte Kim Christensen nach einer Hereingabe des wertvollen Vorbereiters Erik Meijer den Ausgleich. Und so durfte am Schluss über einen nicht wirklich erhofften Punktgewinn beim Deutschen Meister gejubelt werden.
Zudem sorgte Stürmer Erik Meijer zum krönenden Abschluss noch für einen Spruch, der seinen Platz finden wird im reichhaltigen Brevier der gesprochenen Kostbarkeiten, für die Fußballprofis immer wieder gut sind. Angesprochen, warum er in der Schlussminute die rote Karte gesehen habe, gab der fröhliche Holländer mit frappierender Offenheit Auskunft: „Ich war nicht einverstanden, dass der Schiedsrichter Freistoß pfeift“, sagte Meijer grinsend, „und da habe ich ihn einfach ‚Wichser‘ genannt.“
Ein launiges Statement war das, das trotz aufgeräumter Stimmungslage jedoch nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass die Folgen der Worte den HSV treffen werden: Genau wie der ebenfalls gesperrte Sergej Barbarez wird Meijer seiner Mannschaft bei den Heimspielen gegen Duisburg im Pokal und gegen 1860 München fehlen. Zwangsläufig wird das Kurt Jara zu neuen Gedankenspielen über seine sich selbst zersetzende Sturmreihe ermutigen müssen. Umso trauriger, da Erik Meijer nicht nur der lustigere, sondern am Samstag ausnahmsweise auch der bessere Jan Koller gewesen ist.
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