: Just-in-time konservativ
Hamburger CDU probt den Aufbruch zur „modernen Großstadtpartei“ und droht dabei der Mutterpartei mit Zoff. Beschlüsse zum Familienbild nicht überall „verankert“
Die Hamburger CDU möchte ihr verstaubtes Image ablegen und zu einer „modernen attraktiven Großstadtpartei mit bundesweiter Ausstrahlung“ mutieren, die in der Lage ist, „Zukunftsthemen anzupacken und zu lösen“. Das kündigte zumindest Landeschef Dirk Fischer gestern nach einer Klausurtagung seiner Partei in Jesteburg an. „Hamburg will Vorreiter in der Union werden, auch unter Inkaufnahme von Konflikten mit der Bundespartei.“
Modern war zumindest die Themenfindung in Jesteburg. Jeder der etwa 90 Anwesenden – Senatoren, Abgeordnete, lokale Mandatsträger und MitarbeiterInnen – konnte Themenvorschläge zur Tagesordnung machen, über die Reihenfolge wurde dann wie beim Jauch-Quiz per Knopfdruck abgestimmt. Und so kam es, dass zwar 50 Prozent diskutieren wollten, ob die Partei eine neue Führung braucht, die Frage dann aber doch anderen Prioritäten zum Opfer fiel.
Wichtiger waren den Funktionären beispielsweise die Ressorts Innen- und Schulpolitik, die die CDU an die Koalitionspartner abgeben musste. Hier möchte sich die Partei künftig profilieren: „Schulpolitik ist in Hamburg von ganz großer Bedeutung“, sagt Fischer. Daher sollen öffentliche Veranstaltungen künftig die Positionen der Union nach außen vermitteln.
Zum Thema Familienpolitik befand die Tagung: „Das Bild der CDU entspricht nicht ihrem Programm,“ so Fischer. Das liege auch an internen Problemen. So gebe es zeitgemäße Beschlüsse zum „Familienbild“, die „im Bewusstsein unserer Partei nicht voll verankert sind“. Bei den öffentlichen Unternehmen will Fischer sich „persönlich für jeden Einzelfall“ einsetzen, damit jedeR Beschäftigte für die Kindererziehung seinen Anspruch auf Teilzeit geltend machen kann. Bis zur Wahl 2005 soll der „Rechtsanspruch auf einen Kindertagesplatz“ realisiert werden.
Das Thema Zuwanderung ist für die Großstadt-CDU mit der „Vision der wachsenden Stadt“ laut Fischer kein Tabu mehr. Da im Jahr 2050 rund 20 Millionen Arbeitskräfte in Deutschland fehlen werden, müssten schon jetzt die Weichen gestellt werden, um „Zuwandererkinder besser zu qualifizieren“. Eine Schicht der „Unterprivilegierten“ dürfe nicht entstehen.
Herausforderungen sieht Fischer auch in der Seniorenpolitik: „Die Alten der Zukunft werden ganz andere Alte sein als heute, nicht mehr krank und gebrechlich, sondern Menschen in ihrem dritten Lebensabschnitt.“
Die CDU hat außerdem anhand der vorigen Wahlen festgestellt, dass es eine „Entideologisierung“ der Wählerschaft gebe. Es werde nicht mehr nach Image gewählt, sondern die Parteien werden an ihren Taten und die Mandatsträger an „Charisma und Sachkompetenz“ gemessen, so Fischer. Es gebe Leute, die nach der Devise „just in time“ wählen, die für „Liberalität und Toleranz sind, aber null Toleranz gegenüber Kriminalität haben“.
KAI VON APPEN
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