: Das Kreuz des Südens
Sind Krankheiten, Katastrophen, Kriege und Konflikte die Säulen der deutschen „Dritte-Welt-Berichterstattung“? Drei Tage lang diskutierten Journalisten und Wissenschaftler aus Nord und Süd im oberbayerischen Feldafing. Die Bilanz scheint eher düster
von THILO KUNZEMANN
Gekommen war er, um den Wert des theoretischen Diskurses für die unmoralische Welt der Journalisten aufzuzeigen. Eine Lanze für die Theorie brechen – so das Motto des Münchner Philosophen Michael Reder auf der Tagung: „Dritte-Welt“-Berichterstattung in deutschen Medien.
Überrascht und freudig lachte er noch, als sein schwarzer Gesprächspartner vom deutschen Philosophen Jürgen Habermas erzählte: In Uganda, dem Heimatland des Nachwuchsreporters Julius Mucunguzi, fehlten eigene Textbücher. So lerne man eben aus europäischen und deutschen Büchern und lese auch Habermas’ Theorie vom globalen Diskurs.
Ziemlich stumm aber lauschten Reder, und mit ihm der Rest der deutschen Referentenriege, Mucunguzis anschließender Erzählung vom zähen Alltag eines ugandischen Journalisten. Praktisch bedeutender als philosophische Erwägungen, so der höfliche Ostafrikaner, wären Polizisten, die kritische Artikel nicht als Präsidentenbeleidigung oder Haftgrundlage ansähen. Und um klischeehafte Auslandsberichte zu vermeiden, bedürfe es nicht gleich eines globalen Dialogs von Habermas’scher Dimension. Etwas weniger Faulheit und Ignoranz auf Seiten der westlichen Journalisten würden – zumindest für den Anfang – genügen.
Beinahe versackt
Gut gemeint und doch vergebens – unter diesem Sinnspruch ließe sich so manches „Dritte-Welt“-Projekt abhaken. Und beinahe wäre auch diese, von den Münchner Kommunikationswissenschaftlern Markus Behmer und Jeffrey Wimmer organisierte Tagung im Graben zwischen Nord und Süd versackt: Nach einem kurzen Verweis auf die Misere der deutschen Presse, fragte beispielsweise Gabriele Hoofacker, die Leiterin der Münchner Journalistenakademie, ob denn die finanzielle Lage der afrikanischen und asiatischen Journalisten ebenso kritisch wäre. Für einen Moment schien es da, als balle sich die Ignoranz der Gastgeber wie eine dunkle Wolke über der Tagung zusammen.
Doch Journalisten und Kommunikationswissenschaftler sind geschwätzige Menschen, und so entwickelten sich vor allem die Kaffeepausen, Workshops und Barstunden zu Höhepunkten des Nord-Süd-Austausches. Selbst Naeem Gul, ein Assistenzprofessor der pakistanischen University of Peshawar, ließ sich nicht vom bierseligen bayerischen Abend abschrecken.
Gelassen und nüchtern erklärte er seinen deutschen Kollegen die negativen Folgen des – auch von etlichen Tagungsreferenten ohne jede Scheu bewiesenen – Idealismus vieler Auslandsreporter: „Nehmen Sie die Teppichbranche. Teppiche sind unser bester Exportartikel. Aber leider arbeiten auch Kinder in der Teppichproduktion.“ Berichteten jedoch Sender wie BBC über diese Kinderarbeit, blieben die wichtigen Auslandsaufträge aus – Kindern wie Erwachsenen fehlte dann selbst das Lebensnotwendigste. „Wir Pakistanis wollen ja gar nicht, dass diese Kinder arbeiten, statt in die Schule zu gehen“, sagt Gul. „Aber ihre Eltern haben nicht einmal genug Geld, um sie zu ernähren. Also schicken sie ihre Jungen, die ja in vielen asiatischen Gesellschaften die Stütze der Familie sind, zum Teppichknüpfen.“ Solche Zusammenhänge aber, sagt Gul, würden in den meisten Berichten nicht erklärt. „Da heißt es nur: Dort gibt es Kinderarbeit, dort können wir nicht investieren. Statt arbeiten zu können, müssen die Kinder nun jedoch hungern.“
Was aber dagegen tun? Nicht mehr berichten, sei keine Alternative, meint auch der 38-jährige Femi Awoniyi. „Die kulturelle und ethnische Vielfalt Afrikas ist einzigartig. Dass es dabei zu Konflikten kommt, ist vor allem nach den Fehlern der Dekolonialisierung nicht verwunderlich.“ Die Journalisten aber müssten „verantwortlicher mit Krisenberichten umgehen“. Schlechte Presse würde nämlich auch in Afrika die Investoren vergraulen, so die Theorie des seit zehn Jahren in Deutschland lebenden Awoniyi.
Für Deutsche und in Deutschland lebende Afrikaner gründete er deshalb vor vier Jahren den African Courier. „Wir wollen ein neues Afrika-Image vermitteln. Natürlich berichten wir kritisch, aber eben auch über kulturelle, politische oder wirtschaftliche Erfolge.“ An der politischen Realität aber kommt auch Awoniyi nicht vorbei. Anstatt über den journalistischen Ansatz seines alle zwei Monate erscheinenden African Courier zu referieren, schilderte er den Tagungsgästen mit zitternder Stimme seine Interpretation des ostafrikanischen Genozids zwischen Hutu und Tutsi. „Über zehn Millionen Tote. Und die westliche Presse hätte das verhindern können.“
Nicht nur deutsche Philosophen scheinen die Möglichkeiten der freien Presse zu überschätzen. Große Lösungen waren auch nach drei Tagen nicht in Sicht. Das Fazit eines deutschen Teilnehmers: „Wir haben uns über unser Leben und unsere Arbeit unterhalten. Das war doch schon eine Menge wert.“
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