: Kulturtransfer in Rinderpelle
Im „Klub der polnischen Wurstmenschen“ nimmt Leszek Oświęcimski deutsche Gutmenschen und polnische Schnurrbartträger aufs Korn. Kein Wunder, dass die Helden von trauriger Gestalt bei den polnischen Versagern landen
Was tun, wenn plötzlich alle zwischen Berlin und Garmisch Hunger bekommen auf unbehandelte Krakauer, würzige Rinderkabanossi oder solide „Debysche“ Wurst? Die Antwort lautet: Massenproduktion polnischer Wurstwaren und bedingungsloser Export in den Westen!
Was aber, wenn plötzlich der Export verboten wird, weil die Europäische Union eine Schwemme polnischer Wurst befürchtet? Die Antwort lautet: Schmuggel!
Das ist der Ausgangspunkt von Leszek „Herman“ Oświęcimskis Satire „Klub der polnischen Wurstmenschen“. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen aber weniger die polnischen und deutschen Geheimdienstler und Präsidenten, die immer wieder tollpatschig im Dreieck zwischen großer Politik, Verbrechensbekämpfung und kleinen Vorlieben springen. Mitten im Romanleben stehen vielmehr drei Helden von trauriger Gestalt oder besser Substanz: der große, der dicke und der dünne Wurstmensch. In polnischen Genlabors hergestellt, um als Menschen die Grenze zu überwinden und als Wurst auf den westlichen Fleischtheken zu landen, werden sie an der Grenze bei „Kiełbaskowo“ zwischen Stettin und Berlin gefasst. Sie haben schlicht ihre Pässe vergessen.
Weil in jedem Scheitern aber ein Erfolg liegt, gelingt allen dreien die Flucht. Der Große Wurstmann landet in Berlin beim „Polnischen Schulzenrat“ und einer Gruppe fürsorglicher Lesben, der dicke Wurstmann bei einem Bauern in der Nähe von Stettin, und den dünnen schließlich verschlägt es in ein Kloster im Teutoburger Wald, ganz in der Nähe von Hermann dem Cherusker, dem Stammvater aller Teutonen.
In einer Mischung aus Schelmenroman, deutsch-polnischem Roadmovie und literarischer Gebrauchsphilosophie hat Oświęcimski eine Metapher für seinen eigenen Weg von Polen nach Berlin gefunden. 1959 in Koszalin geboren, kam er nach einem Polonistik-Studium 1988 nach Westberlin. Doch die Polen, die hier lebten, waren entweder polnisch oder deutsch. „Man kann sich leicht vorstellen, was für Qualen der Wurstmensch gerade durchlebte. (…) Er fühlte sich, als ob er nirgendwo dazugehörte, mit nichts verbunden, von allen abgestoßen und verworfen. Er konnte nicht mal für die eigenen Freunde einen der großen Romantiker zitieren.“
Also begann Oświęcimski zu schreiben, veröffentlichte in der deutsch-polnischen Zeitschrift Kolano einen ersten Entwurf einer Kulturgeschichte des Scheiterns und fand im Klub der polnischen Versager schließlich eine Heimat, wo es sich trefflich über die Bedeutung des Schnurrbartes für die polnische Identität nachdenken ließ.
Das war dem großen, dem dicken und dem dünnen Wurstmenschen inzwischen nicht anders gegangen. Aus den Fängen der fürsorglichen Lesben, Stettiner Bauern, ostwestfälischen Klosterschwestern, deutschen und polnischen Geheimdienste entronnen, landen auch sie am Ende in der Torstraße 66, Kulturtransfer in Rinderpelle eben. Und „die Geschichte fing langsam an“, wie es auf Seite 151 heißt, „eine glückliche Wendung zu nehmen“. UWE RADA
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