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Punktrichter zahlen Eintritt

Bei den Gay Games sporteln 12.500 Schwule und Lesben aus 81. Ländern. Ihnen geht es um mehrals nur Medaillen. Zum Beispiel um die Achtung der Menschenrechte – und das für jeden Menschen

Lebensfreude, Toleranz und Miteinander stehen im Vordergrund

aus Sydney MICHAEL LENZ

Unter dem Jubel von gut 30.000 weiße Puscheln schwenkenden Zuschauern wurden am vergangenen Samstag in Sydney die 6. Gay Games mit der „Heldenparade“ der Sportteams aus 81 Ländern eröffnet, und gemeinsam mit den insgesamt 12.500 Teilnehmern zogen auch knapp 1.000 Schwule und Lesben aus Deutschland in das von einem kalten Wind durchwehte „Aussie-Stadion“ ein. „So gefeiert zu werden, das war ein unglaubliches Erlebnis“, freudenstrahlt der Bochumer Marathonläufer Andreas Merschmeier noch Tage später und wagt einen Vergleich: „Wer die Eröffnungsfeier bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney gesehen hat, kann sich eine Vorstellung davon machen, was den Zuschauern und Sportlern geboten wurde.“

Bei aller Feierlaune kam aber auch Ernstes nicht zu kurz. Mit donnerndem Applaus wurden Teilnehmer aus Ländern wie Saudi-Arabien, Ägypten oder dem Irak begrüßt, in denen Homosexuelle immer noch verfolgt und in Gefängnisse gesteckt werden. Ein politisches Zeichen setzten auch die wenigen Vertreter aus den verfeindeten Staaten Pakistan und Indien, die einer spontanen Eingebung folgend gemeinsam in das Stadion einzogen. Standing Ovations erhielt auch der bekennend schwule australische Bundesrichter Michael Kirby für seine pointierte Rede. „Lasst unser Leben ein Beispiel für die Achtung der Menschenrechte sein. Nicht nur für Schwule und Lesben, sondern für jeden Menschen“, forderte Richter Kirby. Obwohl bei den Gay Games Lebensfreude, Toleranz und Miteinander im Vordergrund stehen, geht es natürlich auch um sportliche Meriten. „Ich mag den Wettkampf“, gibt die Schwimmerin Ute Kühner vom Team „Abseitz“ aus Stuttgart zu, vier Tage später gewinnt die 42-jährige Redakteurin Silber über 200 m Brust. Ihren unterlegenen Konkurrentinnen, darunter auch „Tatort“-Kommissarin Ulrike Folkerts, zollt sie gleichwohl Respekt. „Ulrike hatte keine Chance auf einen vorderen Platz. Umso bewundernswerter finde ich ihren Mut, gerade als Promi, trotzdem mitzuschwimmen“, sagt Kühner.

„Wir werden doch noch immer als weichlich dargestellt“, glaubt derweil Horst Albrecht vom Kölner „Cream Team“. Der 56-jährige Werbefachmann ist seit über 30 Jahren leidenschaftlicher Eiskunstläufer. „Ich weiß“, grinst Albrecht, „das wird als der klassische Schwulensport angesehen. Dabei wird übersehen, dass es eine harte Sportart ist, die Kraft und Ausdauer verlangt.“ Traurig ist Albrecht jedoch, dass es in seiner Disziplin bei den Gay Games keine offizielle Wertung gibt. „Die ISU hat ihren Punktrichtern verboten, an den Gay Games teilzunehmen.“ Umso mehr freut sich der Kölner über die „subversive Solidarität“ der australischen Punktrichter. „Die haben sich eine Eintrittskarte zu den Veranstaltungen gekauft und geben ihre ,persönliche Meinung‘ über unsere Auftritte ab“, verrät Albrecht. Noch bei den Gay Games vor vier Jahren in Amsterdam konnten die Eiskunstlauf-Wettbewerbe nur als „Schaulaufen“ stattfinden, nachdem der Internationale Eiskunstlauf-Verband gedroht hatte, Teilnehmer auf Lebenszeit von internationalen Turnieren auszuschließen.

Mittlerweile jedoch haben viele Sportorganisationen und -vereine ihre Berührungsängste mit Schwulen und Lesben verloren. Der Ringer Ewald Kentgen weiß beispielsweise zu erzählen: „Vor vier Jahren haben einige schwule Männer eine Ringergruppe gegründet und trainieren seitdem beim SC Berolina in Neukölln. Bisher gab es keine Probleme.“

In Sydney freute sich Kentgen über seine Goldmedaille – und noch mehr darüber, dass die schwulen Ringer aus Berlin, Frankfurt und Stuttgart die US-Amerikaner geschlagen haben: „Die Amis sind so verbissen. Für die steht Gewinnen um jeden Preis an erster Stelle.“ Mit über 4.000 Sportlern stellen die Amerikaner auch zahlenmäßig das stärkste Kontingent bei den Gay Games.

Derweil klagen Mitarbeiter des Organisationskomitees „Sydney 2002“, die anonym bleiben wollen: „Wir predigen Werte wie Teilnahme für alle, aber unser Marketingschwerpunkt lag einzig und allein auf schwulen Männern aus den USA.“ Frauen, Europäer oder gar Schwule und Lesben aus Ländern der Dritten Welt rangierten auf der Prioritätenliste hingegen weit hinten. Der Grund hierfür ist einfach: „Gay Games kosten Geld und die US-Schwulen sind nicht nur wohlhabend und konsumfreudig, sondern auch einfach zu bewerben.“

Gelassen nehmen die Frauen ihre Minderheitenrolle mit einem Anteil von nur 30 Prozent. „Das sind wir doch gewohnt“, grinst Silke Vlecken, von Beruf Beauftragte für die Belange von Mädchen und jungen Frauen bei der Stadt München. Die Bonner Polizistin Bettina Stump wiederum fand nach drei Tagen Sydney lediglich bedauerlich, „dass ich erst eine Telefonnummer habe“. Dabei ist die 31-Jährige, seit sechs Monaten im Einsatz bei der internationalen Polizeitruppe im Kosovo, nach Sydney gekommen, um „mitzunehmen, was geht“. Und um mit dem Berliner Hobbyteam „Good Vibrations“ am Basketballturnier teilzunehmen. „Ich habe früher zwar 2. Liga gespielt, bin aber seit zwei Jahren aus der Übung und entsprechend nervös“, verrät Bettina Stump.

Die Begeisterung über die Atmosphäre in Sydney lässt selbst Unannehmlichkeiten wie die langen Anfahrtswege zu den Sportstätten oder die hoffnungslos überfüllten Bars und Restaurants auf Sydneys schwul-lesbischer Meile Oxford Steet in den Hintergrund treten.

Abgehakt unter „Was soll’s“ hat das „Team Berlin“ auch die Begrüßung durch den deutschen Generalkonsul Matthias Wentzel, der weder das Wort „Gay Games“ noch Begriffe wie „schwul“ oder „lesbisch“ über die Lippen brachte und seine Ansprache mit der Ermahnung schloss: „Gehen Sie nicht in dunkle Ecken.“ Die Berliner waren sich in ihrem Urteil über Wentzel einig: „Der war nur peinlich.“

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