piwik no script img

Schieß doch, Medium!

Der Kulturwissenschaftler Friedrich Kittler lässt in seinen Vorlesungen über „Optische Medien“ ganze Universen an Theorien, Personen und Schicksalen Revue passieren

Vorlesungsmitschriften von Studenten sehen immer doof aus und bestehen zumeist hauptsächlich aus Randkritzeleien sowie nahezu unleserlichen, völlig elliptischen und kaum verständlichen Sätzen.

Schön edierte und in Buchform publizierte Vorlesungsmanuskripte dagegen haben einiges für sich, wie in diesem Fall die Vorlesung des world-famous Kulturwissenschaftlers Friedrich Kittler über Geschichte und Theorie optischer Medien, die der Professor für Ästhetik und Mediengeschichte 1999 an der Humboldt-Universität abhielt. Denn anders als bei von vornherein zur stillen Lektüre bestimmten Texten geht es bei Vorlesungen ja (im Idealfall jedenfalls) um relativ unmittelbare Verständlichkeit.

So wurde auch hier kryptischer Wissenschaftssprech heruntergefahren zugunsten einer eher erzählenden und ausgesprochen unterhaltsamen und witzigen Darstellung eines unvermindert anspruchsvollen Themas. Das Ergebnis ist einerseits, obwohl der interessierte Leser nahezu keine medienwissenschaftlichen Vorkenntnisse braucht, Lichtjahre von fernsehkompatibler Populärwissenschaft entfernt und liest sich andererseits, die Phrase sei verziehen, spannend wie ein Krimi.

Ohne schon das Ende verraten zu wollen, stützen sich Kittlers Ausführungen über die optischen Medien im Ganzen auf drei Grundthesen. Erstens und mit Claude Shannon: Medien sind Informationsträger, -übermittler und -konverter. Information definiert sich mathematisch, und der Mathematik und ihren Algorithmen sind alle etwaigen ästhetischen Inhalte erst mal völlig schnuppe. Entsprechend bietet Kittlers Buch auch keine irgendwie geartete intermediale Kunsthermeneutik – denn Kunst schaltet immer irgendwo den Menschen dazwischen und ist somit Feind jeder Technologie –, dafür aber Kultur-, Diskurs- und vor allem Technikgeschichte galore.

Zweitens und mit Marshall McLuhan: Die tatsächlichen Inhalte von Medien sind immer andere Medien. So wie dieser Zeitungsartikel sich auf ein Buch bezieht, so implementiert das Fernsehen das Kino, dieses das Theater, dieses die Literatur und schließlich der Computer seinerseits überhaupt alles. Das gute alte Buch selber dagegen hat sich sein leitmediales Schriftmonopol schon längst von der Backe putzen können.

Drittens und mit Heraklit: Der Krieg ist der Vater aller Dinge. Beziehungsweise und mit Paul Virilio und Michel Foucault: Das Licht der optischen Medien ist das des Krieges. Kittler zufolge verdanken sich sämtliche der besprochenen Medien militärtechnologischem Spin-off: Die Camera obscura und die mit ihr einhergehende optische Perspektivierung diente dem Bau von Festungen (und deren Zerstörung durch die neuen Feuerwaffen). Die Laterna magica war eine jesuitische Geheimwaffe der Gegenreformation. Die Fotografie ermöglichte kriminalistische Identifizier- und Zugreifbarkeit, der Film militärische Luftaufklärung, das Fernsehen ist eine Parallelentwicklung der Radarsysteme, der Videorecorder ursprünglich ein Instrument zur Überwachung von Gefängnissen, und dem Computer fielen Primäraufgaben vom Decodieren feindlicher Kommunikation bis zur Steuerung von Interkontinentalwaffen zu.

Verschwörungstheoretiker werden allerdings enttäuscht. Der Sinn von medientechnischer Innovation interpretiert sich zwar lediglich als buchstäbliche Bewaffnung der Sinne, die im Zusammenhang mit derer Entwicklung globaler Aufrüstungsstaatsmächte steht. Die Technologien selber haben aber wie gesagt mit Sinn rein gar nichts am Hut, sondern nur und ausschließlich mit Informationen und deren Verarbeitung.

Aber mit diesen Thesen sind Kittlers Ausführungen noch lange nicht erschöpft. Um diese Tragsäulen herum lässt er ein Universum von Theorien, Historien, Kunst- und Wissenschaftsbereichen, Personen und Schicksalen Revue passieren. Auf einen Kernsatz fallen, neben einigen akademischen Seitenhieben, mindestens drei Randbemerkungen, sodass ganz en passant nochmals weiteste Felder von Wissen und Zusammenhang und Sex and Crime sich auftun. Braucht jeder. Hypertext. Killerbuch. AXEL WERNER

Friedrich Kittler: „Optische Medien. Berliner Vorlesung 1999“. Merve Verlag, Berlin 2002. 336 Seiten, 16,70 €

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen