: „Jugendstrafrecht bis 24 Jahre“
Auf dem Juristentag in Berlin beginnt heute die Diskussion über das Jugendstrafrecht. Bernd-Rüdeger Sonnen, Vorsitzender einer Expertenkommission, stellt ein Reformkonzept vor. Bei Bagatelldelikten sollte die Justiz zivil- statt strafrechtlich reagieren
taz: Herr Sonnen, auf dem Juristentag diese Woche in Berlin stellen Sie und Ihre Kollegen ein Konzept vor, um das Jugendstrafrecht zu reformieren. Was wollen Sie ändern?
Bernd-Rüdeger Sonnen: Wir wollen erstens, dass der Täter sich mehr mit dem Opfer auseinander setzt und soziale Verantwortung übernimmt. Dadurch wollen wir vermeiden, dass er wieder rückfällig wird. Der zweite Punkt: Wir wollen weg vom Jugenstrafrecht hin zur Jugendhilfe. Drittens wollen wir die Rolle des Opfers im Verfahren stärken.
Sie sagen auch, dass Sie Rückfalle durch Erziehung verhindern wollen. Das ist doch jetzt schon im Gesetz vorgesehen …
Wir dürfen aber nicht warten, bis jemand 14 ist, um sich mit ihm auseinander zu setzen, weil er dann bedingt strafmündig ist. Stattdessen sollten wir bereits früh die Jugendhilfe einsetzen. Dabei müssen wir allerdings dafür sorgen, dass die Jugendhilfe sich nicht als eine Art Verschiebebahnhof versteht. Das heißt, dass man Leute, mit denen man nicht klarkommt, entweder in die Psychiatrie steckt, wo sie nicht hingehören, oder auf das 14. Lebensjahr wartet, damit man die Jugendlichen an die Justiz abgeben kann. Das kann nicht sein.
Sie fordern, Bagatellfälle nicht mehr zu bestrafen.Wie sollen Jugendliche stattdessen lernen, nicht zu klauen?
Man lernt ja nicht nur über Strafe, man lernt auch über Regeln und Normen und darüber, dass einem vorgelebt wird, wie man sich richtig verhält – etwa in der Familie. Wenn der Detektiv einen Jugendlichen beim Ladendiebstahl erwischt, soll er weiterhin die Polizei rufen und die Eltern informieren. Dadurch erfolgt ja eine Reaktion auf die Straftat. Wenn der Jugendliche dann noch das Geklaute bezahlen muss, und zwar als Schadensersatz zu einem viel teureren Preis, reicht das aus. Hier wollen wir zivil- statt strafrechtlich reagieren.
Warum sollen bei bestimmten Bedingungen sogar 24-Jährige unter das Jugendstrafrecht fallen, wie Sie es fordern?
Der Entwicklungsprozess hat sich verändert. Viele stecken bis Mitte 20 noch in der Ausbildung. Deswegen fordern wir als Erstes, dass die 18- bis 21-Jährigen öfter als früher ins Jugendstrafrecht einbezogen werden. Das soll dann auch für Jungerwachsene bis 24 gelten. Heranwachsende und Jungerwachsene sind bei Straftaten überrepräsentatiert. Wenn ich an die ranwill, sollte ich es mal mit dem Jugendstrafrecht versuchen, das mehr Möglichkeiten bietet als nur Geldstrafe, Bewährung und Strafvollzug, wie im Erwachsenenrecht.
Sie haben Ihren Vorschlag bereits im Justiz- und Jugendministerium vorgestellt. Wie wurde dort darauf reagiert?
Bei einigen Punkten haben wir uns schnell verständigt. In den Ministerien ist man auch dafür, die 18- bis 20-Jährigen öfter in das Jugendstrafrecht einzubeziehen. Bei denen, die älter sind als 20, ist man nicht so begeistert. Im Jugendministerium akzeptiert man auch die Weichenstellung weg vom Strafrecht hin zur Jugendhilfe. Es ist aber eine Kostenfrage. Da kann man zehnmal sagen: Im Endeffekt zahlt es sich aus, denn weniger Folgekriminalität würde weniger kosten.
Falls die Union die Wahl gewinnt, geben Sie Ihrem Konzept dann noch eine Chance?
Die letzte Gesetzesänderung hat auch eine schwarz-gelbe Koalition durchgesetzt. Wenn man behutsame Reformpolitik macht, sehe ich da durchaus Chancen.
INTERVIEW: NICOLE KUHN
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