: Gutenbergs Freund
Der König der Vorleser ist tot: Gert Westphal, früher Protagonist auch der Radio Bremen-Hörspiele
Der Schauspieler und Sprecher Gert Westphal ist am Sonntag im Alter von 82 Jahren in Zürich an Krebs gestorben. Er galt als „Vorleser der Nation“.
Westphal kam 1945 als 25-Jähriger an die damaligen Bremer Kammerspiele und begann ein Jahr später bei Radio Bremen mit seinen ersten Hörfunkrollen. Zwei Jahre später leitete er die dortige Hörspielabteilung und gewann zahlreiche Kollegen für das Medium.
1953 wechselte Westphal zum Südwestfunk nach Baden-Baden, später ans Züricher Schauspielhaus, blieb Bremen aber verbunden. Noch im Januar 2001 nahm er bei Radio Bremen die „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ auf, womit er seinen Thomas-Mann-Zyklus vervollständigte.
Mehr als 200 Texten der Weltliteratur hauchte Westphal mit seiner markanten, volltönenden Stimme und seiner außergewöhnlichen Interpretationsfähigkeit Leben ein. Ob Thomas Mann, Fontane, Goethe, Heine, Hesse oder Karl May – Westphal las sie alle. Für jedes Werk fand der viel begabte Künstler, der das Vorlesen mit einem „Liebesakt zwischen Autor und Rezitator“ verglich, einen eigenen Ton.
Die Palette von Westphals Rundfunklesungen und Plattenaufnahmen sucht ihresgleichen. Es gibt mehr als 100 Stunden Westphal-Aufnahmen von Romanen und Erzählungenn allein von Thomas Mann.Von den Rezensenten wurde er mit Lob überschüttet. Als „Dichters oberster Mund“ bezeichnete ihn Katja Mann nach einer „Buddenbrooks“-Lesung, die „Zeit“ kürte ihn zum „König der Vorleser“ mit einem „akustischen Ein-Mann-Theater“.
Mehr als zwanzig Jahre gehörte Westphal dem Züricher Schauspielhaus an. 1980 wurde er freiberuflich tätig, arbeitete mit dem Tournee-Theater Greve zusammen und inszenierte unter anderem Franz Kafkas „Der Prozess“. Seinen Ruhm verdankte der Vater zweier Töchter, der mit seiner Frau seit den sechziger Jahren in der Nähe von Zürich lebte, aber vor allem seiner Kunst als Vorleser. „Es gibt ja immer wieder den Vorwurf an mich: Sie beenden das Zeitalter Gutenbergs. So ein Unsinn. Ich habe, wenn überhaupt, immer zum Buch, zum Selber-Lesen verführt“, sagte Westphal einmal.
Noch in hohem Alter war er von Lesung zu Lesung durch das Land geeilt: „Ich kann nicht einfach nicht mehr lesen, dann geht meine Stimme kaputt.“
Dorit Koch/dpa/taz
Kommenden Sonntag sendet das Nordwestradio außerplanmäßig Westphals Feature von 1952 über den legendären Schnelldampfer „Bremen“ (9.05 Uhr bis 10 Uhr)
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