piwik no script img

Vorurteile unterstützt

betr.: „Ikea-Therapie“ (zur Sat.1-Serie „Die Anstalt“), taz vom 12. 9. 02

Ich fand eure Kritik zu der Serie „Die Anstalt“ recht gut. Ich selbst bin 21 Jahre alt und musste leider 5 Monate wegen Depressionen mit suizidalen Gedanken hinter verschlossenen Türen bleiben.

Das Leben in einer geschützten Station spielt sich um einiges anders ab, als in der Sendung dargestellt, und in Wirklichkeit sind nicht nur schräge Vögel in der Psychiatrie, sondern zu einem Großteil Depressive (aber die ziehen keine Sensation auf sich). Auch gibt es in einer geschlossenen Klinik keine spitzen Gegenstände, Glas usw., um die Patienten davon abzuhalten, sich selbst etwas anzutun. Der Alltag ist Routine, die Medikamenteneinnahme wird beobachtet. So etwas wie Gummizellen oder Zwangsjacken gibt es nicht. Die Schwestern und Pfleger haben die Möglichkeit, wenn ein Patient gefährlich wird und sich und andere gefährdet, ihn in einem Beobachtungszimmer, in das man durch ein Fenstern von außen schaut, an eine Liege zu fixieren (das ist keine Menschenquälerei, sondern eine Hilfe und Vorsichtsmaßnahme).

Was mich besonders an der Sendung stört, sind nicht nur die Vorurteile, die Stigmatisierung, die mit einer solchen falschen Darstellung einer Psychiatrie leider unterstützen werden, sondern das über die einzelnen Erkrankungen nicht aufgeklärt wird. In jeder anderen Krankensendung ist das auch nicht nötig, weil jeder weiß, was es heißt, einen Herzinfarkt oder einen Beinbruch zu erleiden, aber als Außenstehender weiß man nicht, dass eine Psychose (Wahnvorstellungserkrankung) eigentlich eine Stoffwechselstörung im Gehirn ist und dass der Psychotiker kein Spinner ist, sondern durch richtige Medikation ein relativ geregeltes Leben ohne Wahnvorstellungen führen kann.

Eine sehr interessante Seite im Netz ist das www.depri.net, wo sich nicht nur ein Selbsthilfeforum befindet, sondern wo man jede Menge Informationen über psychische Erkrankungen abrufen kann. Name ist der Redaktion bekannt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen