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Freier Austausch

Mit Fitnessdrink und Wurstgeschenken will die Gruppe „Aussen“ philosophische Fragestellungen im Alltag aufspüren: Veranstaltungsreihe „Text und Ding“ startet auf Kampnagel

von KATRIN JÄGER

Was hat Bodybuilding mit Philosophie zu tun? Viel, meint die Visualkünstlerin Anke Haarmann. Das Muskeldesign des Körpers bestätigt im Extrem die These der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler: Der Körper ist nicht natürlich. Der Körper ist eine kulturelle Konstruktion. Ein materiell verdichteter Symbolhaufen, nach bestimmten Regeln codiert. Immer ist der Körper Fleisch gewordene Inzsenierung. Wir sind beispielsweise nicht etwa von Natur aus Mann, Frau oder Intersexe. Wir sind dies nur, weil unsere Kultur uns diese Geschlechterkategorien vorschreibt.

Anke Haarmann macht diesen konstruktivistischen Weltzugang in ihrer Veranstaltung Butler und die Hantel mit einer Filmdokumentation über Bodybuilder deutlich. Die Muskelmenschen modellieren ihren Körper nach Kraftprotzidealen à la Schwarzenegger. Sie streben danach, „es zu schaffen“, sich ihrem Vorbild so weit wie möglich anzuähneln. In dem anschließenden Aerobic-Film verrenken sich schlanke Frauen im Glitzerlook vor einer großen Spiegelwand. Eine andere Inszenierung des Körpers.

Mit ihren Filmen will Haarmann das Publikum für Butlers philosophische Fragestellung sensibilisieren. Anschließend drückt sie den Zuschauern ein Fitgetränk und Zitate-Schnipsel in die Hand. „Damit gebe ich ihnen wie beim Fußball eine Vorlage. Zum Weiterdenken und zur freien Meinungsbildung.“

Mit ihrer sinnlichen Heranführung an philosophische Problematiken wollen Haarmann und ihre PhilosophenkollegInnen der Gruppe „Aussen“ ihrem Publikum in sechs Veranstaltungen vermitteln, dass „Denken Spaß machen kann. Wir wollen den Lustfaktor in die philosophische Auseinandersetzung hineintragen.“

Ziel der Veranstaltungsreihe „Text und Ding“ ist es, so „Aussen“-Philosoph Harald Lemke, „das Philosophische im Alltäglichen zu entdecken und greifbar zu machen“. Lemke bietet in seiner Veranstaltung Nietzsche und die Wurst einen Zugang zu Friedrich Nietzsche als Ernährungsphilosoph. Eine unbekannte Seite des Nihilisten, den man eher mit dem Motto „Gott ist tot“ in Verbindung bringt. Nietzsche beklagte sich zeitlebens mit der provokanten Frage: „Braucht Geist Fleisch?“ über die „mangelhafte Vernunft in der Küche“, propagierte den Vegetarismus, konnte aber den Wurstpaketen seiner Mutter nicht widerstehen. Für Lemke ein Anlass, öffentlich über die „Wurstologie unserer Wirklichkeit“ nachzudenken und „allerlei Wurstproben und so“ zu reichen.

Die Idee der „Aussen“-Crew, philosophische Fragestellungen jenseits des akademischen Tellerrandes zu verhandeln, entstand während des Studiums an der Universität Hamburg. Irgendwann hieß ihre Diskussionsgruppe „Aussen“, ganz simpel aus dem Anspruch heraus, nach außen zu treten. Jedes Gruppenmitglied trägt die Verantwortung für eine Veranstaltung.

Die kritische Annäherung an die Themen der so genannten großen Philosphen ist ihnen wichtiger als Name-Dropping. Zum Beispiel, wenn die Doktorandin Heidi Salaverria den radikalen Sprachphilosophen Jaques Derrida mit der Stubenfliege konfrontiert. Derridas Ansatz löst die Welt in Sprache auf. Das geht nicht mit der nervenden Präsenz einer gemeinen Stubenfliege, sagt Salaverria.

Die Gruppe versteht das kritische und kontroverse philosophische Gespräch als selbstverständlichen Teil der kulturellen Praxis. Es gehört für sie dazu wie das tägliche Zähneputzen. Sie haben festgestellt, „dass der Bedarf nach lautem Denken da ist“, und wollen dem ein Forum bieten. Denn im Gegensatz zur üblichen Vortragskultur hört das Publikum nicht nur zu, sondern mischt sich ein.

Mit ihrem Programm nähert sich „Aussen“ dem antiken Verständnis von Philosphie. In Platons Dialogen streitet sich Lehrer Sokrates ständig mit den Bürgern des alten Athen über grundlegende Lebensfragen. Dies nicht aufgrund einer akademischenProfilneurose, sondern wegen seiner Philo-Sophie, also aus Liebe zur Weisheit. An diese Tradition knüpfen die „Aussen“-Veranstaltungen an.

Veranstaltungsreihe „Text und Ding“ auf Kampnagel: Butler und die Hantel: 14.11. 2002. – Sartre und die Kaffeetasse: 16.1.2003. – Kant und der Cocktail: 13.3.2003. – Heidegger und der Rechner: 17.4. 2003.– Derrida und die Fliege: 8.5. 2003. – Nietzsche und die Wurst: 13.6.2003

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