„Entsorgung ist Umweltschutz“

Die 850-Seelen-Gemeinde Gorleben im Wendland lebt ganz gut vom Atommüll

GORLEBEN taz ■ Ein Dorf geplagt von Atommüll, End- und Zwischenlagern, von Castorentransporten und ihren Gegnern? „Im Gegenteil. Wir leben ja davon“, sagt Bürgermeister Herbert Krüger, der sich Gemeindedirektor nennt. Und wie sich davon leben lässt! Obwohl die 850-Seelen-Gemeinde in der strukturschwächsten Region Niedersachsens liegt, ist Gorleben stinkreich. Bis 1992 spülten Bund und Betreiber (die Gesellschaft für Nuklear-Service GNS) jährlich 1 Million Mark in die bis dato klamme Gemeindekasse. Seitdem zahlt der Betreiber immerhin noch die Hälfte.

Wofür Gorleben diese Gelder verwendet hat, kann man überall sehen: Die Mehrzweckhalle mit Cafeteria und Bundeskegelbahn kostete 8 Millionen Mark. Wo in anderen Dörfern ein Schild zum „Sportplatz“ weist, liest man in Gorleben „Sportplätze“ – die selbstverständlich mit Flutlicht und einem neuen, pompösen Vereinshaus ausgestattet sind. Daneben gibt es ein neues Jugendzentrum, drei Tennisanlagen, einen neuen Spielplatz und neu gepflasterte Fußwege.

Am Ortseingang hat der Widerstand seinen „Anti-Castor-Info-Punkt“ aufgebaut: ein großes Zelt, mit Tafeln und Tischen und einem Feuer, an dem sich die Aktiven wärmen. Im Haus der Gemeindeverwaltung, neben dem Büro des ehrenamtlichen Bürgermeisters, gibt es eine Ausstellung mit Tischen und Tafel: „Mit Kernenergie gegen den Treibhauseffekt“ oder „Kernenergie – die Stütze der Stromversorgung“, heißt es da.

„Dieser Transport ist genehmigt, nicht von mir, sondern von Berlin“, sagt Bürgermeister Krüger. Wogegen sollte er demonstrieren? „Ich werde nicht auf die Straße gehen. Auch nicht meine Frau, auch nicht meine Kinder.“ Im Gemeinderat kann sich Krüger auf eine breite Mehrheit stützen: Sowohl die fünf Gemeinderäte seiner CDU-nahen Wählergemeinschaft sind Atomkraftbefürworter als auch die drei Sozialdemokraten. Einzig die Unabhängige Wählergemeinschaft UWG kämpft im Rat gegen Atommüll und Endlager. Aber die Wähler haben ihr nur zu einem einzigen Sitz verholfen.

Kaum verwunderlich ist deshalb, dass auf den Autos in Gorleben Slogans wie „Gorleben – Entsorgung ist Umweltschutz“ oder „Atomkraft – Zukunftstechnologie für Deutschland“ zu finden sind. Es gibt nicht viele hier, die etwas gegen den Transport haben. Zitieren lassen will sich aber niemand – wer weiß, wozu die Anti-Atom-Bewegung fähig ist.

NICK REIMER