: Der Finder geht leer aus
Ein Bremer Student entdeckt in Namibia eine neue Insektenart. Den Ruhm stecken jedoch andere ein
Wir befinden uns auf dem Brandberg in Namibia, es ist März 2001. Martin Wittneben, Namibier mit deutschen Eltern, hat schon unzählige Touren in die Schluchten des Brandbergmassivs unternommen. Er sammelt Daten für seine Diplomarbeit, die er an der Uni Bremen schreibt.
Seinen Jeep stell er immer am Fuß des Berges ab. Das Fahrzeug ist sein Basislager. Von dort aus unternimmt er seine Touren. Jetzt sitzt er mit einem Freund, Hansuei Dubach, der ihn am Brandberg besucht, am Lagerfeuer. Es ist noch zu früh, um zu schlafen. So machen sich beide mit einer Taschenlampe auf die Suche nach Holz.
Und da entdeckt der Freund es: Ein 2,5 cm großes Insekt, sein dreiteiliger Panzer voller Stacheln. So ein merkwürdiges Tier hatten beide noch nie vorher gesehen. Es ähnelt einer Grille, hat aber keine Flügel. Vielleicht ist es eine Art Gottesanbeterin?
Es scheint nachtaktiv zu sein und wirkt mit seinen langen Antennen und starken Beißwerkzeugen ziemlich räuberisch. Wittneben schnappt sich das Insekt kurzerhand und versenkt es in einer Dose mit einem kräftigen Schuss Brandy aus seinem Flachmann. Zur Konservierung. Er will sich das Tier später noch einmal in Ruhe ansehen.
Ihm fällt auf, dass das Tier vielleicht wegen des besonderer Mikroklimas auf dem Brandberg lebt. Dieses Bergmassiv erhebt sich wie eine Insel aus dem Meer. Nur dass das Meer die Namib-Wüste ist und dieser Inselberg über 2.000 Meter hoch. Die Größe des Massivs reicht für das eigene Mikroklima, sprich: Regen. So weist der Brandberg eine üppige Savannenvegetation vor. Es scheint, dass das Insekt gerade zu dieser Jahreszeit dort genügend zu fressen findet.
Zurück in Bremen versuchen Wittneben und sein Betreuer, Dr. Hartmut Köhler, das Insekt zu bestimmen. Doch da versagt die Bestimmungsliteratur. Wieso passt das Tier nicht in die 30 Ordnungen der Insekten?
Wittneben, der regelmäßig nach Hause nach Namibia fährt, findet, das Tier muss dort identifiziert werden, wo es herkommt. So nimmt er es Monate später wieder mit und liefert es beim Nationalmuseum in Windhoek ab. Der Kurator des Museums, Eugène Marais, kennt das Tier schon. Auch er hatte es am Brandberg schon einmal gefunden. Doch hat das Museum nicht die Ressourcen, sich um die Bestimmung zu kümmern.
Wenn nicht ein glücklicher Zufall im Spiel gewesen wäre, das Tier würde sicherlich, wie schon einige andere, im Regal verstauben: Marais bekommt ein paar Tage später eine Anfrage aus Berlin. Gesucht werden Fossilien einer ausgestorbenen Art, die anzeigen würde, dass es statt 30 sensationelle 31 Insektenordnungen geben müsste.
Hinter der Anfrage aus Berlin steht eigentlich die Suche eines Limnologen des Max-Planck-Instituts in Plön. Er hatte in Bernstein Insekten gefunden, die vor Millionen Jahren gelebt haben. Sie sahen aus wie eine Mischung aus Gottesanbeterin (Mantiden) und Stabheuschrecken (Phasmatodea). Nach dieser Anfrage ging alles sehr schnell. Plön schloss mit Namibia einen Vertrag über die Erforschung dieses Insekts ab. Ein internationales WissenschaftlerInnen-Team flog mit Hubschraubern im April 2002 ins Brandbergmassiv und suchte nach weiteren Exemplaren des Insekts. Die es auch fand. Daraufhin wurde der Öffentlichkeit verkündet, der deutsche Wissenschaftler Oliver Zompro hätte eine neue Ordnung der Insekten in Namibia entdeckt.
„So kann es laufen“, sagt Martin Wittneben, der kurz vor dem Abschluss seiner Diplomarbeit steht. „Ich gestehe dem MPI zu, dass sie die gesamte taxonomische Arbeit geleistet haben. Sie haben den neuen Ordnungsnamen geprägt: Mantophasmatodea. Sie haben sich den Populärnamen ‚Gladuiator‘ ausgedacht. Aber das Tier an seinem Lebensort entdeckt und wieder auffindbar gemacht habe ich.“
Fazit: Der Finder, die Finderin wird nur wahrgenommen, wenn ein Apparat ihn oder sie unterstützt. Arme Länder, in denen neue Arten gefunden werden, sind bestenfalls ein Schauplatz. WissenschaftlerInnen dort haben oft nicht die Mittel, wissenschaftliche Nischenthemen so zu bearbeiten wie ihre KollegInnen in reichen Ländern.
Nachdem das MPI im April seine selbstbezogene Pressekampagne lanciert hatte, startete Wittneben mit der Unterstützung seiner Bremer Arbeitsgruppe eine eigene Kampagne, die von den Medien auch gut angenommen wurde. Vor kurzem haben sich Plön und Bremen jetzt getroffen und vereinbart, künftig besser zusammenzuarbeiten. Nun kann Wittneben den spektakulären Fund als Ermutigung für seine Zukunft sehen: Als wissenschaftlichen Vermittler zwischen Namibia und Deutschland. GUDRUN FISCHER
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