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Mehr Kreativität, bitte!

Bei der Führung der US-Soldaten in Afghanistan wird darüber diskutiert, sich vom Primat des Militärischen zu verabschieden

200 Millionen US-Dollar für Infrastrukturprojekte hat Bush verweigert

von JAN HELLER (Kabul) und MICHAEL STRECK (Washington)

Niedergebrannte Mädchenschulen in vier Provinzen. Flugblätter in Kabul, auf denen der berüchtigte frühere Mudschaheddin-Führer Gulbuddin Hekmatjar von einer „Kette von Kreuzzügler-Kriegen“ zwischen Palästina, Irak und Afghanistan spricht. Granaten, durchschnittlich 16 pro Woche, die im letzten halben Jahr auf US-Soldaten laut ihrem Sprecher Oberst Roger King abgefeuert wurden. Und eine so genannte Rote Mudschaheddin-Armee, die Ende voriger Woche die Verantwortung für die meisten der Anschläge übernahm.

In ihrem auf Paschto verfassten und mit Koran-Versen eingeleiteten Statement, dass sie dem Peschawarer Büro der pakistanischen Tageszeitung The News zuspielten, bekennen sich die Gotteskrieger zu 21 Angriffen auf US-Truppen in sieben Provinzen. Sechs davon werden mehrheitlich von Paschtunen bewohnt. Dabei hätten die Angreifer den Ausländern schwere Verluste zugefügt. Zahlen nannten die „Roten Mudschaheddin“ jedoch nicht. Von unpopulären Angriffen auf die Mädchenschulen – am Tag nach den Anschlägen saßen dort weinende Kinder vor den Trümmern – und vom missglückten Attentat auf Staatschef Hamid Karsai distanzieren sie sich jedoch lieber. Dafür seien Taliban verantwortlich.

Die „Roten Mudschaheddin“ benennen in ihrem Kommuniqué noch eine andere „Fraktion“, die sich im Untergrund betätige: Fraktionen der in Kabul dominierenden Nordallianz und deren Geheimdienst. Sie seien verantwortlich für die Morde an den beiden Karsai-Minister Hadschi Abdul Qadir und Abdur Rahman in der ersten Jahreshälfte.

Neben den Flugblättern der „Roten Mudschaheddin“ tauchten in den letzten Monaten ähnliche Schriften von etwa einem halben Dutzend Mudschaheddin-Gruppen auf. Sie setzen ihre Aktionen gegen US-Soldaten und die internationale Friedenstruppe Isaf mit dem Kampf gegen die sowjetischen Besatzer gleich.

Obwohl sich die Stimmung vor allem in den Paschtunen-Gebieten gegen die Amerikaner aufheizt, die dort auf ihrer Al-Qaida-Jagd massive Haussuchungen vornehmen und dabei auch in Frauengemächer eindringen, ernten die Untergrund-Mudschaheddin in der Bevölkerung bisher kaum Zustimmung. Man sieht die ausländischen Truppen immer noch lieber als die Warlords, die in den vergangenen zwölf Jahren die Bevölkerung terrorisiert haben.

Die Untergrund-Mudschaheddin spiegeln vielmehr eine Untergruppe der herrschenden Fraktionen wieder, die ihr bisheriges Machtmonopol gefährdet sehen. Insbesondere fürchten sie die für 2004 angesetzten Wahlen. Denn wenn diese relativ frei vonstatten gehen und intensiv beobachtet werden, könnten die Tage der „Kalaschnikow-Träger“, wie Afghanen die Warlords und Kommandeure nennen, gezählt sein.

So sehen die Flugblatt-Aktionen wie eine geplante Desinformations- und Destabilisierungskampagne aus. Die könnte sich gegen die US-Truppen und die Isaf-Truppe richten und damit auch gegen die deutschen Soldaten, die zusammen mit den Niederländern wohl ab dem Frühjahr Isaf führen werden.

Dass die Botschaft ankommt, zeigen nicht nur jüngste Stellungnahmen aus dem Bundesverteidigungsministerium, dass die Gefahr für deutsche Soldaten in Afghanistan größer werde. Auch UN-Generalsekretär Kofi Annan unterstrich beim letzten Afghanistan-Briefing des Sicherheitsrates, dass eine Ausweitung des Isaf-Mandats über Kabul hinaus dringend notwendig sei.

Politische Konsequenzen hat dies jedoch offensichtlich nicht. Bundesaußenminister Joschka Fischer sagte am Mittwoch, die Frage einer Ausweitung des Isaf-Mandats über Kabul hinaus stelle sich nicht und sei auch für die USA nicht mehr prioritär. Das Pentagon lehnt einen solchen Schritt ohnehin ab.

Aber sogar US-Generalstabschef Richard B. Myers gestand vor wenigen Tagen, dass das US-Militär im Kampf gegen den Terror in Afghanistan an Boden verliere. Al-Qaida und verbliebene Taliban-Kämpfer hätten sich angepasst: Aus ehemaligen Söldnern seien flexible Guerilla-Einheiten geworden, die dem US-Militär immer eine Nasenlänge voraus seien. Die Armeestruktur sei viel zu schwerfällig, um darauf effektiv zu reagieren.

Als Erkenntnis aus dieser Tatsache offenbarte der General Erstaunliches: Innerhalb des Verteidigungsministeriums gebe es eine Debatte darüber, ob die USA sich vom Primat des Militärischen verabschieden und sich fortan stärker auch auf zivile Projekte wie den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur konzentrieren sollte. „Um ehrlich zu sein, wir sind nicht besonders erfolgreich“, sagte der ranghöchste US-General. „Wir müssen insgesamt kreativer sein.“ Es gehe darum, Soldaten mehr beim Bau von Brücken oder Schulen und der Ausbildung von Polizisten einzusetzen, als sie in Kampfeinsätze zu schicken.

Konkret soll die Zahl der Soldaten, die für zivile Aufgaben bestimmt sind, auf 340 verdoppelt werden. Ingenieure in Uniform sollen zudem den Wiederaufbau von Brücken und die Reparatur von Straßen in nördlichen Landesteilen leiten, um wichtige Handelsrouten zu den Nachbarstaaten wieder passierbar zu machen.

Das Hauptproblem ist Geld. So hatte der US-Kongress 200 Millionen US-Dollar zusätzlich für Infrastrukturprojekte für Afghanistan gefordert, das Weiße Haus seine Zustimmung jedoch verweigert.

Selbst wenn sich die USA endlich zu einen stärkeren zivilen Engagement in Afghanistan durchringen, bleibt die Sicherheitsfrage ungelöst. Wiederaufbau setzt Stabilität voraus. Dazu müsse die Macht der regionalen Warlords gebrochen werden, sagt Terrorexperte Ivo H. Daalder vom Brookings-Institut in Washington. Die einstigen Helfer im Kampf gegen die Taliban müssten nun entwaffnet und gezwungen werden, die Zentralregierung zu unterstützen. Diese Aufgabe könne niemand anderer als US-amerikanische Soldaten übernehmen, sagt Daalder. „Momentan kann ich jedoch nicht erkennen, dass wir unsere ehemaligen Alliierten, deren Kampf wir erst ermöglicht haben, aufgeben und in die Schranken weisen werden.“

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