: Russischer Export
Nach der Verschärfung des russischen Presserechts droht der Kreml nun deutschen Medien: Bei unbequemen Berichten gibt’s Liebesentzug
von HEIKO DILK
Michail A. Grabar scheint ernsthaft beleidigt. Der Erste Sekretär und Pressesprecher der Botschaft der Russischen Föderation sagt deshalb Sätze wie: „Wir waren schockiert, weil die Wahrheit auf den Kopf gestellt wird, weil jemand schwarz weiß nennt.“ Oder: „Wenn jemand nicht bereit ist, unvoreingenommen und auf korrekte Weise solche tragischen Geschichten darzustellen, macht das einen sehr schlechten Eindruck auf uns. Es ist sehr schwer, mit so jemandem noch zusammenzuarbeiten.“
„So jemand“ meint zunächst mal die ARD, denn die wirkt nach Auffassung der russischen Botschaft und ihres Pressesprechers nicht „im Sinne der Objektivität“, was ihre Berichterstattung über die Geiselnahme in Moskau angeht im Besonderen und über den Tschetschenienkonflikt im Allgemeinen. Deshalb hat Grabar einen Brief geschrieben. An den ARD-Vorsitzenden Fritz Pleitgen.
Darum, dass Pleitgen ihm zurückschreibt, hat er eigentlich nicht direkt gebeten, eher gedroht hat er: „Davon, wie Ihre Antwort durch weitere Berichterstattung ausfällt, wird es abhängen, ob die Zusammenarbeit russischer Stellen mit der ARD und deren Korrespondenten vor Ort im gewohnten Maße fortgesetzt werden kann.“
Nun hat Grabar aber trotzdem einen Brief bekommen. Zwar nicht von Pleitgen, sondern (Grabars „Rang entsprechend“, wie es dort heißt) vom ARD-Sprecher Rüdiger Oppers. Der weist die Kritik Grabars an der Tschetschenienberichterstattung zurück und schreibt: „Der letzte Satz Ihres Schreibens ist als Drohung zu verstehen, die wir nicht akzeptieren werden.“
Oppers hat daher das Auswärtige Amt (AA) über die Drohung und das Schreiben informiert. Das hat schon Kontakt zum russischen Botschafter Sergej Krylow aufgenommen. Doch das AA gibt sich diplomatisch: Mehr, als dass Staatssekretär Jürgen Chrobog mit Krylow telefoniert hat, mag man vorerst nicht preisgeben. Eins dürfte jedoch klar sein: Für das AA muss es darum gehen, sich hinter die westlichen Medien zu stellen und deutlich zu machen, dass eine derartige Vorstellung von Pressefreiheit mit einem demokratischen Wertesystem nicht vereinbar ist.
Überraschung!
Für Grabar kommt vor allem die „Aufregung der deutschen Journalisten“ überraschend, sagt er. Schließlich habe er nur seine Meinung kundgetan: „Wir wollten die Frage nicht politisieren.“ Nun wird der Pressesprecher der russischen Botschaft natürlich nie ohne Anweisung von oben tätig – schon gar nicht wird er Briefe an westliche Medienvertreter auf dem Briefpapier des Hauses verfassen. Und der Schlusssatz des Schreibens enthält nun mal eine Drohung, deren politische Dimension eigentlich nicht mal diktatorischen Staatsoberhäuptern und deren Handlangern entgehen sollte.
Seit der Verschärfung des Presserechts in Russland sind die Möglichkeiten für Journalisten ohnehin schon stark eingeschränkt. So wurden die Verbreitung „terroristischer Propaganda“ und Beiträge zur „Rechtfertigung“ terroristischer Anliegen unter Strafe gestellt. Da der Kreml den Tschetschenienkrieg als eine terroristische Operation einstuft und die Formulierungen schwammig gewählt sind, dürfte es also fast unmöglich werden, darüber zu berichten, ohne zumindest mit einem Bein im Gefängnis zu stehen.
Abgesehen von Tschetschenien sei die Zusammenarbeit früher, Anfang der Neunzigerjahre, „mit den russischen Stellen sehr offen, sogar besser als in den USA zum Beispiel“ gewesen, wie Sonia Mikich, die sechs Jahre lang Russlandkorrespondentin der ARD war, sagt. Selbst während des ersten Tschetschenienkriegs hätten Journalisten sich frei bewegen können.
Mit der jetzigen Drohung bekommt die russische Pressepolitik allerdings eine neue Qualität. „Man muss diese Drohung sehr ernst nehmen“, sagt Mikich, „sie zeigt, dass dem Kreml die völlige Kontrolle über die Tschetschenienberichterstattung wichtiger ist als das Image im Westen. Und dass man sich nicht scheut, die Gängelung der Medien auch zu ‚exportieren‘. Das ist alarmierend“, sagt die „Monitor“-Chefin. Für sie ist entscheidend, „dass sich die westlichen Medien nicht einschüchtern lassen. Sie müssen weiter mit der gebotenen Objektivität, aber auch skeptisch gegenüber dem Kreml und dessen Formulierungen berichten.“
Die ARD hat es dabei wohl ganz kalkuliert getroffen. Obwohl Gabar sagt, er sei über die Berichterstattung „der deutschen Medien insgesamt“ entsetzt. An Das Erste habe er geschrieben wegen des Ansehens, dass es genieße, weil es „als Maßstab für alle anderen Medien in Deutschland“ gelte. So gesehen hat die ARD den Brief wohl nur in Stellvertretung bekommen. Die Drohung dürfen auch alle anderen Medien auf sich beziehen.
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