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: Boris Becker errettet aufs Neue das deutsche Tennis

In den Wahnsinn

Für seinen Auftritt anlässlich des hundertjährigen Jubiläums des Deutschen Tennis-Bundes (DTB) gestern in Berlin hatte Boris Becker dieselbe Marius-Müller-Westernhagen-Frisur gewählt wie jüngst beim Steuerprozess. Unklar blieb, ob er damit auf das neueste Werk des Möchtegernmusikers „In den Wahnsinn“ anspielen wollte oder die Haartracht eher als gutes Omen bemühte – schließlich hatte ihn Justitia einigermaßen glimpflich davonkommen lassen.

Der konkrete Anlass seines Erscheinens war die Verkündigung einer guten Tat: Rettung des deutschen Tennissports. Eine Aufgabe, welcher sich der fast 35-Jährige schon des längeren widmet – was nur legitim ist, immerhin hat er das deutsche Tennis gewissermaßen erfunden. Während der geplagte Verband pünktlich zum Jubiläum gegen Insolvenz und Verfall kämpft und bereits das Hamburger Damenturnier an Philadelphia verscherbeln musste, hat sich Becker zunächst einmal die Sanierung des Hamburger Männerturniers am Rothenbaum auf die bunten Fahnen geschrieben.

Die Veranstaltung gehört zu jener Masters Series, welche die ATP vor wenigen Jahren noch als reinste Goldgrube präsentierte. Ab 1999 hatte der Vermarkter ISMM/ISL der Serie den horrenden Betrag von 1,2 Milliarden Dollar für zehn Jahre zugesagt, ein unverhoffter Segen auch für die Kassen des DTB, der für Hamburg 120 Millionen Dollar bekommen hätte. Nicht zuletzt der wahnwitzige Tennisdeal trieb die ISL jedoch in den Konkurs, geblieben sind der Masters Series gigantische Preisgelder, von denen die ATP nicht abrücken mag, bei drastisch verschlechterten Vermarktungsbedingungen.

1,5 Millionen Euro stellt Beckers Agentur BCI nun gemeinsam mit der ACE Group des Düsseldorfer Großbäckers Heiner Kamps dem DTB für die Hamburger Marketingrechte zur Verfügung, dafür bekommt Boris Becker als „Chairman“ freie Hand. Die Pläne sind ehrgeizig. „Ich gebe nicht nur den Namen“, sagt der große Vorsitzende, „sondern bin auch vor Ort aktiv.“ Mit einem umfangreichen Rahmenprogramm soll für „Lifestyle und Entertainment“ nach amerikanischem Vorbild gesorgt werden, auch schon in der Zeit vor Beginn des Turniers. Abgesehen von „Modenschauen, Konzerten, Comedy“ lässt sich das Programm auf einen einfachen Nenner bringen: Boris Becker.

ER soll Sponsoren und das widerspenstige Fernsehen für das Ereignis interessieren, ER soll die Zuschauermassen anziehen. Mit einigen seiner beliebten Schaukämpfe soll Becker schon im Vorfeld den Tennishunger anheizen, möglicherweise sogar mit einem Davis-Cup-Revival, bei dem Becker/Stich „alte Schweden“ oder „alte Amerikaner“ (Becker-Partner Lübenoff) abledern. Das Kalkül ist simpel: Wer Boris bejubelt, lässt sich vielleicht auch erweichen, später den Herren Rios, Costa, Novak oder Haas bei ihrem Treiben zuzuschauen.

Ein Erfolg der Strategie scheint nicht ausgeschlossen, vor allem, wenn man sie noch etwas ausbaut: Wildcards für Becker und Stich mindestens bis zum Viertelfinale, und in den Spielpausen könnte man ja vielleicht ein paar kleine Gerichtsshows einstreuen, naturgetreu dem Boris’schen Leben nachempfunden. MATTI LIESKE