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Der ungenehme Richter

Er nutzt die Medien und verfasst regelmäßig Pressemitteilungen

von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA

Christian Kropp liebt Experimente. Sie gehen gut aus, wenn er nichts mehr von ihnen erfährt. Wenn sie aber nicht das gewünschte Ergebnis zeigen, hat er über kurz oder lang erneut mit seinen „Probanden“ zu tun.

Christian Kropp ist Richter. Sein Experimentierfeld liegt im Herzen von Thüringen, im Amtsgericht der 23.000 Einwohner zählenden Stadt Sondershausen. Hier hat der Amtsrichter sich einen Namen gemacht als ein Jurist mit ungewöhnlichen Urteilen (siehe Kasten). Verurteilt er jemanden zu gemeinnütziger Arbeit, verblüfft er den Schuldigen, weil er ihm die Tat mit gleicher Münze heimzahlt. Das heißt: Wer Hakenkreuze schmiert, soll sich in einem Konzentrationslager mit der deutschen Geschichte beschäftigen. Wer einen Supermarkt mit einer öffentlichen Bedürfnisanstalt verwechselt, soll anderer Leute Dreck wegmachen. Kropps Motiv: „Ich will mich aktiv mit der Persönlichkeit der Täter auseinander setzen.“

Der 38-Jährige sieht nicht besonders experimentierfreudig aus, eher konservativ. Runde Brille, lichtes Haar, Schnauzbart, Lederweste zum weißen Hemd. Im nahen Mühlhausen spielt er in seiner Freizeit auf der Kirchenorgel und singt im Kirchenchor. Der gebürtige Frankfurter hat sein Abitur in Fulda gemacht. Hier lebte einer, der ihm Vorbild ist: der extrem konservative Erzbischof Johannes Dyba. Dessen Ansichten teilt Kropp nicht alle, aber eines gefiel ihm außerordentlich: „Er hat die Finger auf die Wunde gelegt, statt Gewäsch von sich zu geben.“ Auch Kropp will „nicht genehm“ sein.

Eigentlich wollte er wie sein Vater Mediziner werden. Doch nach dem Abitur hospitierte er beim Gericht – ein Onkel ist Familienrichter, eine Tante Zivilrichterin. Weil ihm die Aktenarbeit und die flexiblen Arbeitszeiten gefielen, schrieb er sich in Würzburg für Jura ein. Nach einem Referendariat in Bamberg ging er 1993 nach Thüringen. Über das Amtsgericht in Mühlhausen kam er drei Jahre später an das Amtsgericht in Sondershausen und ist dort einer von vier Richtern: „Ich kann sagen, ich habe von den Karrieremöglichkeiten damals im Osten profitiert.“

Kropp hat sich gut eingelebt. Die Ostkollegen seien „wunderbar“. Eine Justizangestellte fand er so wunderbar, dass er sie heiratete. In einem Dorf bei Mühlhausen, 50 Kilometer von Sondershausen entfernt, hat er sich ein Häuschen gebaut. Manches vermisst er aus seiner alten Heimat: die Bamberger Philharmonie, den Frankenwein, Sushi, ein gutes italienisches Restaurant.

Jeden Mittwoch verhandelt Kropp von morgens neun bis zum späten Nachmittag. Dabei spürt man die Leidenschaft für seinen Beruf. In der Regel sind zehn Verfahren terminiert. Kaum hat er die drei Stufen zum Richtertisch genommen, verwandelt sich der Gerichtssaal, den eine riesige Holzplastik mit dem Titel „Requiem für die gestorbenen Bäume“ schmückt, in eine Bühne. Der Hauptdarsteller mit seinem „schwarzen Mäntelchen“, wie Kropp seine Richterrobe bisweilen nennt, zieht alle Register.

Er zeigt Verständnis für einen Langzeitarbeitslosen, der angetrunken Auto gefahren ist. „Man ist arbeitslos, trinkt, und es schmeckt.“ Doch letzten Endes „beißt die Maus keinen Faden ab“; neben einer Bewährungsstrafe gibt es Führerscheinentzug. Einen Rentner, der auf Nachbars Katze mit einem Luftgewehr geschossen hat und sich uneinsichtig zeigt, fordert er leicht genervt auf, sein Hörgerät lauter zu stellen. Obwohl er von dessen Schuld überzeugt ist, stellt er das Verfahren ein. Der Rentner muss seine Waffe abgeben und der Fall ist für Kropp „gegessen“. Einem Jugendlichen mit „Reifeverzögerung“, der einen Mann mit einer Waffe bedroht hat, verpasst er mit einer Bewährungsstrafe „einen Schuss vor dem Bug“. Damit er seine Lehre beenden kann.

Die Zeit zwischen den Verfahren nutzt er, um den Zuhörern die Urteile zu erklären. „Wir sind eine Dienstleistung und verkaufen die Ware Justiz.“ Außerdem glaubt er, dass das Publikum „unterhalten“ werden will. Da spielt er gern den Unterhalter. Das macht er nicht uneitel, aber durchaus kurzweilig und informativ. Doch so eitel, dass er sich in die Schar der Fernsehrichter einreihen würde, ist er nicht. „Nach ein paar Jahren ist so eine Sendung zu Ende“, gibt er zu bedenken, „und dann bin ich ein arbeitsloser Richter“.

Dafür ist er zu gerne Richter. Amtsrichter. Wegen des „guten Potenzials“, aus dem man viel machen könnte, wie er sagt. Die Betonung liegt auf dem Wort „könnte“. Kropp beklagt, dass es zu viele Richter gebe, die nur „die Akten so schnell wie möglich loswerden wollen“ und keine Lust auf Neues hätten. Warum nicht auch mal ein Fahrverbot verhängen, auch wenn es nicht um ein Delikt im Straßenverkehr geht? „Ich weiche das schon mal auf“, sagt er stolz. So habe er einem Mann Fahrverbot erteilt, der sein Auto für einen Diebstahl benutzte. Um zu schildern, welche Art von Kollegen ihm missfallen, wird er deutlich: „Die keinen Arsch in der Hose haben.“

In der Zeit zwischen den Verfahren erklärt er den Zuhörern die Urteile

Kropp will Diskussionen anstoßen und Neues ausprobieren. Dafür nutzt er die Medien und verfasst regelmäßig Pressemitteilungen über seine Verfahren. Ein Nebeneffekt davon macht ihm sichtbar Freude. „Ich mache mir auch bisschen einen Spaß, wenn sich das Landgericht aufregt“, sagt er und grinst. Im Thüringer Justizministerium hält sich die Begeisterung über diesen Elan in Grenzen. Die Berichterstattung über Kropp werde „im Rahmen des Üblichen zur Kenntnis genommen“, sagt eine Pressesprecherin trocken.

Der unübliche Richter ist stolz darauf, dass 80 Prozent der jugendlichen Straftäter kein zweites Mal vor ihm stehen und dass nur selten Rechtsmittel gegen seine Urteile eingelegt werden. Und die ungewöhnlichen Urteile, zeigen sie die gewünschte Wirkung? Den Aufsatz, den ein Jugendlicher über die Hitlerbiografie von Joachim Fest abliefern musste, fand Kropp ein Desaster. „In Hitler kulminierte eine machtvolle Zeittendenz“, hieß es da. Der Jugendliche, der die KZ-Gedenkstätte Buchenwald besuchen musste, fuhr allein hin, weil ihn die Bewährungshelfer nicht begleiten konnten. Erziehungsergebnis unklar. Ein Rechter konnte zur gemeinnützigen Arbeit in einem Flüchtlingsheim schon deshalb nicht antreten, weil er wegen Körperverletzung gegen einen Linken mittlerweile im Gefängnis sitzt. Der junge Mann, der öffentliche Toiletten putzen soll, hatte einen Verkehrsunfall. Der Tierquäler, der im Tierheim arbeiten sollte, hat sich nach zwei Tagen dort aus dem Staub gemacht. All das entmutigt Kropp nicht wirklich. „Das sind Experimente“, sagt er. „Es klappt nicht immer.“

Nicht in allen Einrichtungen, wo von Straftätern gemeinnützige Arbeit geleistet wird, trifft der Richter auf Verbündete. Der Leiter des Flüchtlingsheims hegte schwere Bedenken. Im Tierheim war man schockiert, einen Tierquäler beschäftigen zu müssen. Doch Richter Kropp fordert nicht nur Straftäter. Der Leiter des Flüchtlingsheim solle es wenigstens versuchen. Und das Tierheim bekomme so viele Leute vom Gericht geschickt, dass durchaus mal ein Tierquäler dabei sein könne. „Die müssen auch da mal durch.“

Wichtiger als ein Handschlag des Justizministers ist Kropp die positive Resonanz, die er von Bewährungshelfern und aus der Bevölkerung bekommt. Die Lust am Experimentieren lässt er sich ohnehin nicht nehmen. Er kann sich gut vorstellen, seine Experimente auszubauen. Warum einen rechten Straftäter statt in nur ein Konzentrationslager nicht in mehrere schicken? Weil ein Richter Kropp die Hoffnung nicht aufgibt.

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