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Was kostet uns eigentlich Rot-Grün?

Mit der Flut kam die Wende in der Finanzpolitik der Regierung: Statt Steuererleichterungen kamen rasch die Belastungen

BERLIN taz ■ Wenn an Harald Schmidt Kritik geübt wird, muss etwas Schwerwiegendes im Lande vorgehen. „Es nervt“, erregte sich dieser Tage das FAZ-Feuilleton. Denn Schmidt spotte, so die überraschend ironiefreie Anklage, über „Scharen von in ihren Existenzen getroffenen oder bedrohten Zuschauer, für die und deren Kinder ‚Politik‘ ein urpersönliches Schicksal wird“.

Lästermaul Schmidt hat den Niedergang der drittgrößten Industrienation der Erde in seiner Show zu einem running gag verarbeitet. Er spielt zum Beispiel Lotto, um Eichels Haushaltslöcher zu stopfen. Oder er sagt Sätze wie diesen: „Deutschland ist viel entspannter, seit wir so pleite sind.“

Schmidt persifliert so den Ausbruch des nationalen Notstands. Rot-Grün entdeckte seine Finanzloch am Morgen nach der Bundestagswahl – seitdem langen Hans Eichel und seine Kumpane überall hin, wo sie nur Geld finden. Dabei sind die von der Koalition beschlossenen Maßnahmen wie die Kürzung der Eigenheimzulage oder die erhöhte Besteuerung von Dienstwagen noch die kleineren Probleme. Die kurze Abfolge immer neuer Sparbeschlüsse versetzt das Land in Unruhe. So hat die rot-grüne Bundesregierung, obwohl sie explizit das Gegenteil will, die Rentenbeiträge auf 19,5 Prozent erhöht. Die Beiträge für die Krankenversicherung wachsen von 14 auf 14,2 Prozent – Ausgaben, die jeder sofort im Geldbeutel spüren wird.

Bitter wird es, das hat das Propagandafeuerwerk um die Hartz-Kommission bislang verdeckt, im kommenden Jahr für die Empfänger von Arbeitslosenhilfe. Sie müssen mit den drastischsten Kürzungen rechnen – zwischen 150 und über 200 Euro weniger im Monat; Einschnitte, die bisher noch kaum öffentlich diskutiert worden sind.

Rein fiskalisch betrachtet hat Rot-Grün gar keine Grausamkeiten begangen. Denn weder für den Nachtragshaushalt 2002 noch für den Etat des Jahres 2003 wurden in Einzeletats eingespart. Bekannt ist bislang nur, dass für das kommende Jahr Minderausgaben von rund 1,3 Milliarden Euro realisiert werden müssen – wie, ist noch offen.

Die Finanzkrise von Rot-Grün begann, streng genommen, bereits im Sommer mit der Flut. Mit dem steigenden Wasser erhöhte sich auch die Bereitschaft Gerhard Schröders, eine nationale Kraftanstrengung von den Bürgern zu verlangen – er meinte damit offenbar nicht allein eine hochwasserbedingte. Erst sagte er die für Anfang 2003 versprochene Steuerentlastung ab. Das heißt, erst 2004 sinkt der Eingangssteuersatz von 19 auf 17 Prozent und der Spitzensteuersatz von 48,5 auf 47 Prozent. Als vergangene Woche klar wurde, wie stark die Steuereinnahmen des Staates insgesamt sinken, gab es kein Halten mehr. Rot-Grün nimmt allein dieses Jahr 13,5 Milliarden Euro zusätzlich (zu geliehenen 21,1 Milliarden Euro) auf. Das heißt: Rot-Grün hat seinen Konsolidierungskurs aufgegeben.

In der Bewertung sind sich die Forscher weitgehend einig. „Was wir jetzt sehen, sind kurzfristige Geldbeschaffungsaktionen. Sie sind vollkommen unsystematisch“, sagt Viktor Steiner vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Die verschobene Steuerreform war noch durchdacht. Seitdem aber seien viele Probleme aufgetreten: der nicht erwartbare Einbruch der Körperschaftssteuer (minus 40 Milliarden Euro), die Flut und die Konjunktur. „Die Regierung hat das nicht voraussehen können“, sagt Steiner dazu, „weil sich alle Institute in den Prognosen irrten.“

Dennoch spricht keiner der Forscher die Regierung frei. Steiners Kollege Achim Truger vom Forschungsinstitut des DGB macht das gleichzeitige Steuersenken und Schuldenabbauen von Rot-Grün für den jetzigen Crash verantwortlich. „Wenn dann etwas Unvorhergesehens passiert, fährt man den Karren eben an die Wand.“ Und dann beginnen selbst wohlgesinnte Feuilletons zu lästern – wie das der FAZ. Dort hat gerade eine kleine Reihe über „die Räuber“ begonnen. „Haltet den Dieb!“, rufen die Autoren – gemeint ist die Bundesregierung. CHRISTIAN FÜLLER

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